Familie Sürücüs Verteidigung

Im so genannten Ehrenmordprozess greift die Familie der Angeklagten und des Opfers zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie lädt die Presse ein und entlastet zwei der drei angeklagten Brüder

AUS BERLINSABINE AM ORDE

Es war eine höchst ungewöhnliche Zusammenkunft, die sich gestern im Cafe 1001 Nacht in Berlin-Schöneberg zutrug. Die Familie Sürücü hatte zur Pressekonferenz geladen, um den Medien ihre Sicht auf den so genannten Ehrenmord-Prozess zu schildern, der derzeit vor dem Berliner Landgericht läuft. Angeklagt sind drei Brüder der Familie; gemeinsam sollen sie ihre Schwester Hatun getötet haben, weil deren Lebensstil die Familienehre verletzt habe. Als Nebenkläger treten zwei weitere Geschwister der Familie auf.

Die eine, die 22-jährige Arzu, hat jetzt auf einem Sofa im Hinterraum des Cafés Platz genommen. Der andere ist der älteste Sohn der Sürücüs, er ist derzeit wegen eines Drogendelikts in Haft. Hatun hatte ihn einst angezeigt, weil sie sich bedroht fühlte. Links neben Arzu sitzt der Vater, an ihrer rechten Seite eine weitere Schwester, die 15-jährige Songül. Beide Töchter tragen ein Kopftuch.

Schnell wird klar: Die Sürücüs wollen deutlich machen, dass es keinen Familienbeschluss zur Ermordung der Schwester gab – und dass die beiden älteren Brüder unschuldig sind. „Dass die Familie die blutige Tat geplant oder geduldet hat, ist nicht richtig“, heißt es in einer Erklärung, die Zakareia Wahbi verliest, der sich selbst als „ehrenamtlicher Berater“ der Familie vorstellt. Er arbeitet mit dem Anwalt zusammen, der die Nebenklage vertritt.

Man trauere um die Tochter und sei erschüttert über das Geständnis des jüngsten Bruders, heißt es weiter. „Wir können nicht glauben, dass er seine Schwester erschossen hat.“ Der jüngste der drei Angeklagten, der 19-jährige Ayhan, hat am ersten Prozesstag die Schuld auf sich genommen, die beiden älteren Brüder bestreiten jede Beteiligung an der Tat. Die Familie könne sich nicht vorstellen, liest Wahbi weiter vor, dass die beiden anderen Brüder etwas damit zu tun haben. Es folgt ein Appell an Presse und Öffentlichkeit, von einer Vorverurteilung der Brüder Abstand zu nehmen.

Auf Fragen zum Verhältnis der Familie zu Hatun, der getöteten Schwester, antworten die Sürücüs nicht. Das werde vor Gericht noch erläutert, heißt es ausweichend. Man habe die Hoffnung gehabt, sagt der Vater, dass es zu einer Versöhnung kommen könne. Arzu übersetzt seine Äußerungen, der Vater spricht kaum Deutsch. Sie selbst habe stets zu ihrer Schwester Kontakt gehabt. Wenn diese wirklich „verstoßen“ worden wäre, hätten die Eltern ihr das untersagt.

Scharf greift Arzu ihre ehemalige Freundin Melek A. an, die auch die Exfreundin des jüngsten Bruders und Hauptbelastungszeugin der Staatsanwaltschaft ist. „Dieses Mädchen gehört hinter die Glasscheibe“, sagt sie erregt und meint die Anklagebank im Gerichtssaal damit. „Neben Ayhan.“ Melek wusste von den Plänen ihres Freundes, doch sie hat davon niemandem erzählt. Die beiden älteren Brüder dagegen seien unschuldig. Davon, dass Ayhan die Ermordung der Schwester geplant habe, hätte die Familie nichts gemerkt.