Ein gewisser Hautgout von Wählertäuschung

Wer Grün wählte, weil Fischer mindestens Oppositionsführer werden wollte, guckt nach dessen Rückzug in die Röhre

FRANKFURT/MAIN taz ■ Der neue Fraktionsvorstand der Grünen im Bundestag ist kein Angebot für die Wählerinnen und Wähler, die darauf gesetzt haben, dass Joschka Fischer im Falle einer Wahlniederlage von Rot-Grün wenigstens Chef der neuen Bundestagsfraktion der Partei wird. Seine Bereitschaft zur Kandidatur dafür hatte Fischer jedenfalls vor der Wahl presseöffentlich erklärt. Und nach der Wahl schnell seinen Rückzug auf die Hinterbank. Ein Fall von Wählerinnen- und Wählerbetrug?

Wie viele Menschen bei der Bundestagswahl ihr Kreuz nur noch wegen Joschka Fischer bei den Grünen „gemacht“ haben, ist natürlich nicht bekannt. Fest steht allerdings, dass Fischer in seinem Wahlkreis nahe daran war, das Direktmandat zu gewinnen – im Gegensatz zu den meisten anderen DirektkandidatInnen. An der Parteibasis in Frankfurt am Main glauben selbst einige Grüne, dass nur die Stimmen der „Fischerfans“ die Grünen überhaupt noch über die Fünfprozentmarke hoben. Im Ökohaus, dem Stammsitz der Grünen in Frankfurt, ist denn auch Unmut über den unerwarteten Abgang von „Joschka“ zu hören; besonders spät am Abend nach ein paar Kännchen Bier. Allerdings fehlt am nächsten Morgen dann der Bekennermut für solche Äußerungen. Schließlich will man noch etwas werden im Heimatverband von „Joschka“.

Olaf Cunitz ist dort der Vorstandssprecher. Er glaubt, dass es dem zukünftigen Hinterbänkler „ganz sicher nicht leicht gefallen ist, Macht abzugeben“. Man müsse großen Respekt vor dieser Entscheidung haben. Von Wählerbetrug mag Cunitz deshalb nicht sprechen, auch wenn ihm die Menschen „Leid tun“, die ihr Kreuz bei den Grünen nur wegen Fischer machten. Dass dieser vor der Wahl angekündigt habe, auch für den Fraktionsvorsitz kandidieren zu wollen, sei zu diesem Zeitpunkt „sicher auch seine Auffassung gewesen“, so Cunitz weiter. Aber jeder Mensch habe das Recht, den neuen Umständen entsprechend neue Entscheidungen zu treffen.

Das sieht auch der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Bernhard Braun so, der mit Fischer ungezählte Wahlkämpfe erfolgreich bestritt. Wählerbetrug sei das nicht. Und die Sprecherin der hessischen Grünen im Landtag, Elke Cezanne, reagierte auf den Vorhalt des mutmaßlichen Wählerbetrugs leicht gereizt: „Was für ein Quatsch!“ Fischer habe für den Bundestag kandidiert. Und jetzt sein Mandat angenommen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. So kann man es auch sehen.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT