ReportageIn der Türkei lebt die Mehrheit der aus Syrien Geflüchteten. Wie ist ihre Lage? Tayfun Guttstadt findet Schockierendes vor
: Gefangen im Niemandsland

Rund drei Millionen Geflüchtete leben in der Türkei – die meisten von ihnen sind Syrer. Die Regierungspartei AKP instrumentalisiert sie für ihre Zwecke im Rahmen des Flüchtlingsdeals mit der EU: Gegen die Zahlung von 3 Milliarden Euro sollen die Menschen vor Ort versorgt und an der Weiterreise gehindert werden.

Aber wie ist die Lage der Betroffenen? Der Journalist Tayfun Guttstadt hat mit ihnen gesprochen: In Istanbul, in Diyarbakır, in der türkisch-syrischen Grenzregion. Seine Reportage „Gestrandet. Geflüchtete zwischen Syrien und Europa“ wirft ein Schlaglicht auf Menschen, die zwischen allen Stühlen sitzen. Nur wenige haben es so weit geschafft, dass sie in der Türkei arbeiten und leben können. Die Mehrheit vegetiert in Flüchtlingslagern oder in den Slums der Metropolen.

Während die Gebildeten und gut Ausgebildeten leichter an Jobs und Unterkünfte kommen, werden andere, darunter auch viele Kinder, in Textilbetrieben und der Landwirtschaft ausgebeutet. Andererseits drücken die Behörden bei Schwarzarbeit oder nicht korrekt angemeldeten Geschäftsgründungen öfter mal beide Augen zu. Man versucht das Problem kleinzuhalten und die wenigen Erfolgsgeschichten in die Öffentlichkeit zu heben.

Viele Syrer sind frustriert und vom Westen enttäuscht. Ein Mann, den Guttstadt in Istanbul trifft, berichtet von der Brutalität sowohl des IS als auch des Assad-Regimes. Warum hat Europa, haben die USA nicht eingegriffen, bevor es zu spät war? Das fragen sich demnach viele. Nur wenige glauben daran, sich in der Türkei eine Zukunft aufbauen zu können. Die einen wollen weiter, in die EU, obwohl sie sich des Risikos, auf dem Weg ums Leben zu kommen, bewusst sind. Aber was haben sie noch zu verlieren? Andere hoffen, eines Tages nach Syrien zurückkehren zu können, das Land wieder aufzubauen.

Neben den Geflüchteten selbst hat Guttstadt auch mehrere Hilfsorganisationen besucht. Während engagierte NGOs und regionale Gruppen auf sich selbst gestellt sind, erhalten islamistische Einrichtungen staatliche Unterstützung. Besonders ethnische und religiöse Minderheiten leiden unter diesem Ungleichgewicht und sind in der Türkei mit einer ähnlichen Ausgrenzung konfrontiert wie zuvor in Syrien.

In zahlreichen Gesprächen, minutiösen Beobachtungen begleitet von akribisch recherchierten Hintergrundinformationen zeichnet Tayfun Guttstadt ein so realistisches wie oftmals schockierendes Bild. Aber trotz aller Verzweiflung blitzt immer mal wieder Hoffnung auf.

Gerrit Wustmann

Tayfun Guttstadt:„Gestrandet. Geflüchtete zwischen Syrien und Europa.“ Reportage, Unrast Verlag, Münster 2017, 244 S., 16 Euro