TAGEBÜCHER
: Politisches privat

„Über den Wert von Tagebüchern entscheidet nicht das Talent des Verfassers [...], sondern der Rhythmus der allgemeinen und persönlichen Ereignisse, die registriert werden“, schrieb Erich Mühsam am 3. Oktober 1910 in sein Tagebuch. Und: „Ob sich in 80 oder 100 Jahren mal jemand findet, der meine Tagebücher der öffentlichen Mitteilung für wert halten und herausgeben wird, kann ich nicht wissen.“ Chris Hirte, schon in den 1980ern Mitherausgeber einer Erich-Mühsam-Werkausgabe und Mühsam-Biograf, hat sich vor drei Jahren gemeinsam mit Conrad Piens dieser ebenso arbeitsintensiven wie lohnenswerten Aufgabe nun endlich erfolgreich angenommen. Gerade ist der dritte Band der 15 Jahre und rund 7.000 Heft-Seiten umfassenden Tagebücher des filouhaften Kaffeehausliteraten, Kabarettisten und Schüttelreimers, Brettl-Stars und Schwabinger Bohemiens, politischen Publizisten und schließlich von den Nazis ermordeten anarchistischen Aktivisten mit dessen Aufzeichnungen aus den Jahren 1912 bis 1914 im Berliner Verbrecher-Verlag erschienen (432 S., Leinenband mit Lesebändchen, 28 Euro). Im Herbst 2018 soll der letzte Band mit dem 41. und 42. Heft veröffentlicht werden. Zugleich sind Mühsams Tagebücher unter www.muehsam-tagebuch.de auch im Internet zu lesen – nebst Anmerkungsapparat mit kommentiertem Namenregister, Sacherklärungen, ergänzenden Materialien, Suchfunktion, Links zu anderen Texten und Tagebucheinträgen. Um eine historisch-kritische Ausgabe zu erarbeiten. Heute Abend stellt Hirte den Band im Lübecker Buddenbrookhaus vor.  MATT

■ Lübeck: Do, 22. 11., 19 Uhr, 19.00 Uhr, Buddenbrookhaus, Mengstraße 4