WOCHENSCHNACK
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Das heiße Eisen: Boykott Israels

STREIT Die taz-Autoren Daniel Bax und Klaus Hillenbrand debattierten, ob ein Boykottaufuf antisemitisch sei. LeserInnen antworten pro und kontra

Weihnachtsgraffito von Banksy im palästinensischen Bethlehem Foto: reuters

Unbehagen

betr.: „Israel als Schoß des Bösen“, taz vom 17. 3. 17

Mir bereiten die Israel-Boykott-Aufrufe Unbehagen. Insofern bin ich sehr, sehr dankbar für den Beitrag von Klaus Hillenbrand. Drei Anmerkungen will ich noch hinzufügen:

1. Wieso hat sich die (vermeintlich) Linke seit Langem in dieser Art auf Israel eingeschossen? Ich kann jedenfalls nicht sehen, dass Israel ein besonderer Hort des Bösen sein soll (im Gegenteil halte ich das Land für zivilisierter und demokratischer als viele seiner Nachbarländer).

2. Wieso ist in dem Konflikt in Israel/Palästina Israel eigentlich das Böse? Zugegebenermaßen sind viele der Maßnahmen Israels kritikwürdig und für mich nicht nachvollziehbar. Aber Raketenbeschuss aus den Palästinensergebieten auf Israel, Selbstmordattentäter usw. zeugen nicht von einem Friedenswillen der Palästinenser und ihrer Unterstützer. Und wieso gibt es in den Palästinensergebieten ebenfalls ein großes soziales Gefälle, wer verdient dort an dem Krieg? Und wie demokratisch verhalten sich Fatah, Hamas? Israel kritisieren gerne, aber nicht so tun, als säßen auf der anderen Seite lauter Engelchen.

3. Und als Replik auf Daniel Bax: Ein Boykottaufruf ist ein massiver Angriff! Wieso dann die Aufregung, dass ebenfalls massiv geantwortet wird beispielsweise mit der Forderung nach Auftrittsverboten der Boykottaufrufer?

MICK JÜRGENSEN, Hamburg

Legitimes Mittel

betr.: „Israel als Schoß des Bösen“, taz vom 17. 3. 17

Klaus Hillenbrand warnt mich davor, die Kampagne Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen (BDS) zu unterstützen, weil ich sonst wie mein Vater in der Nazizeit argumentieren würde.

Wer den Text Hillenbrands liest, dem fällt vor allem auf, dass Palästinenser dort kaum vorkommen.

Das Westjordanland ist de facto ein besetztes Gebiet, das der „Zivilverwaltung“ des israelischen Militärs untersteht. Der Alltag der arabischen Bevölkerung ist geprägt von Willkür und systematischen Verstößen gegen die Menschenrechte. Nicht nur der international geächtete Landraub durch illegale Siedlungen (es geht hier um Großstädte, die auf palästinensischem Gebiet errichtet werden) raubt den Bewohnern die Lebensgrundlagen. Zugang zu Wasser, zu Bildung, Reisefreiheit, politische Beteiligung, Gleichheit vor dem Gesetz, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, vor willkürlicher Zerstörung des eigenen Heims – nichts davon ist für die Bewohner dort gegeben.

Ich bin Geschichtslehrer. Empathie für die Opfer des Holocaust ist mir wahrlich nicht fremd und ich hoffe, meinen Schülern auch nicht. Aber Empathie ist keine Einbahnstraße.

Was sollen wir also dem palästinensischen Bauern sagen, dessen Olivenhain gerade unter Militärschutz durch eine neue Siedlung zugeschüttet wurde, der Familie, deren Haus für illegal erklärt und bei Nacht und Nebel von israelischen Militärbulldozern abgerissen wird, der Mutter, deren Kind wegen Steinewerfens ohne Anwalt tagelang eingesperrt und verhört wird?

Aufgrund seiner militärischen Stärke und dank der internationalen Unterstützung kann die israelische Regierung in der Region schalten und walten, wie es ihr beliebt. Sie tut nichts, um eine Perspektive des Friedens und der Koexistenz für Palästina zu entwickeln.

Boykottkampagnen sind ein legitimes, bewährtes politisches Mittel gegen Apartheid. Ja, mein Vater, der als Sozialist und Pazifist die Nazis und den Krieg gehasst hat, hätte ebenso argumentiert – da bin ich mir sicher. NORBERT FABER, Berlin

Auf denselben Klos

betr.: „Nazivergleiche verbieten sich“, taz vom 16. 3. 17

Dürfen Palästinenser*innen dieselben Busse benutzen wie Israelis? Dieselben Klos? Dieselben Kinos? Wo sind die Schilder mit der Aufschrift „Jews only“? Daniel Bax macht es sich sehr einfach, wenn er mit einer „Boykottiert israelische Waren“-Aktion liebäugelt. Man muss gar kein Loblied auf die Demokratie in Israel singen, um herauszufinden, dass sein Vergleich mit der Apartheid Südafrikas mehr als hinkt. Und nehmen wir mal an, dass der BDS in Deutschland immer mehr Anhänger*innen finden würde. Glaubt er ernsthaft, dass das die Politik der israelischen Regierung ändern würde?

Und welches Bild würde die deutsche Bevölkerung im Ausland abgeben?

Der BDS passt zu Herrn Netanjahu wie der Topf zum Deckel. Warum sollte eine solche Aktion von einer Zeitung wie der taz Aufwertung erfahren? Von antisemitischen oder antijüdischen Denkstrukturen ist sicher niemand von uns frei. Sie zu benennen und zu diskutieren, statt zu verharmlosen, sollte die Aufgabe einer Zeitung wie der taz sein.

RICHARD BIRKE, Frankfurt am Main

Boykott Kubas

betr.: „Israel als Schoß des Bösen“, taz vom 17. 3. 17

Obwohl ein Boykott Israels laut Klaus Hillenbrand von einer „überwältigenden Mehrheit der jüdischen Israelis“ als „Angriff auf die eigene Existenz“ begriffen wird, benutzt Israel selbst den Boykott: Seit 1960 ist Kuba mit einem Handels-, Finanz- und Wirtschaftsboykott belegt, den die UN-Vollversammlung seit 2002 versucht aufzuheben. Von 2013 bis 2015 waren die USA und Israel die einzigen Länder, die noch für den Kubaboykott eintraten!

Nachvollziehbar wäre, dass die Israelis im Land ihrer Vorfahren leben wollen – wenn sie dieses selbe Recht den Palästinensern nicht absprechen würden: Seit 60 Jahren besetzt Israel als einziger Staat der Welt völkerrechtswidrig ein anderes Volk, dieses ist seitdem größtenteils aus seinem Land ausgesperrt, in ihm eingesperrt oder wird häppchenweise enteignet. Warum sieht Herr Hillenbrand kein mögliches Zusammenleben verschiedener Menschen?

Statt Fantasien zu entwickeln, wie Menschen, überwiegend bekämpfen sich übrigens Männer, friedlich zusammenleben könnten, wird der Mauerbau, ja selbst die Atombombe gerechtfertigt. Im Jahr 2016 wurden allein in Madrid 105 Menschen von Terroristen umgebracht – konsequenterweise wäre die Mauer fällig, hinter der alle Männer eingesperrt werden, damit keiner mehr eine Frau umbringen kann.

SABINE NIER, Oldenburg

Obsession

betr.: „Israel als Schoß des Bösen“, taz vom 17. 3. 17

Es ist schwer zu ertragen, wenn die Israelkorrespondentin der taz mal wieder einen mörderischen Terroranschlag gegen Juden als legitimen Widerstand darstellt (wie zuletzt bei dem Lastwagenattentat auf Soldatinnen) oder wenn sie eine Kennzeichnungspflicht für vom Ausland finanzierte NGOs im israelischen Parlament als „demütigende Brandmarkung, die düstere Assoziationen wecken mag“, bezeichnet – womit wohl der Judenstern der Nazis gemeint ist. Auch viele Linke unterliegen offenbar der unheilbaren Obsession, Juden mit Nazis gleichzusetzen. Oder wenigstens Israel mit dem früheren Apartheidregime in Südafrika – so auch Daniel Bax. Allen, die glauben, in Israel herrsche Apartheid oder es sei „auf dem Weg dorthin“, sei die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift iz3w empfohlen. Darin nimmt der ANC-Funktionär ­Nkululeko Nkosi diese Argumentation höchst fakten- und kenntnisreich auseinander. THIES MARSEN