piwik no script img

BedeutungsversprechenGroße Brötchen

Hamburger Kunsträume

von Hajo Schiff

Stets wenn der Bäcker an der Ecke Brötchen verkauft, wird er gefragt, was er mit kleinen Broten gegen den Hunger in der Welt tut. Und warum er Bäcker geworden ist. Und wie es um die Politökonomie des Bäckereiwesens steht. All das besonders bei den Abenden, an denen die neuen Brötchen mit Wein und geselligen Gesprächen vorgestellt werden.

So geht es zu, wenn einst alle Bereiche des Lebens vom System Kunst erobert sind. Bisher ist eine solche Überfrachtung mit großen Gedanken nur dort anzutreffen: Töne sollen das Leben erschüttern oder Bleistiftstriche die Welt verändern. Nicht ganz unschuldig an derartigen Bedeutungsversprechen sind die Worterfinder in Vermittlung, Pressestelle und Kritik, denen alles Angebotene von der Documenta bis zum Off-Raum ein feiner Grund zum Politisieren und Philosophieren wird – längst ist das eine Kunst eigener Art.

Die beherrschen auch die Künstler*innen aus Seoul, Tel Aviv, Athen und dem südhessischen Bensheim, die ihre aktuellen Arbeiten im Künstlerhaus Sootbörn mit dem Titel „Immer Ärger mit den Großeltern“ unter Reflexionen zu unausweichlichen ästhetischen Prägungen stellen. Nichts weniger als die Opposition von Gut und Böse – Moderne und Nazizeit – haben die in Hamburg, Bremen oder Berlin lebenden Kyung-hwa Choi-ahoi, Amit Epstein, Nikos Valsamakis und Ingo Vetter dabei im Blick und die individuellen Traditionen des Geschmäcklerischen (Sa + So, 15–19 Uhr, bis 16. April).

Solch großes Thema mag besonders an diesem Ort mit wechselvoller Geschichte herausfordernd sein: Ab 1927 im damals preußischen Niendorf in Bauhaus-nahem Entwurf als moderne Schule realisiert, überstand das Haus die Anfeindungen der Nazizeit, wurde aber in den späten Fünfzigerjahren für die Einflugschneise des nahen Flughafens teilweise abgerissen. Es folgte die Missachtung als Lager und die spätere Rehabilitation durch die Kunst. Doch die meisten der in diesem Künstlerhaus Aktiven können mit gedankenschwerer Kunst nicht mal die Brötchen verdienen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen