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Kranenburger statt Kisten schleppen

Trinkwasser Leitungswasser gilt als das am besten kontrollierte Lebensmittel in Deutschland. Die Ökobilanz ist positiv, weil Abfüllung, Verpackung und Transport entfallen. Über 6.000 Versorger stellen jeweils die Qualität ihres Trinkwassers sicher

Bis zu 0,7 Cent pro Liter aus der Leitung? Ihn interessiert das nicht Foto: Kevin Schafer/Minden Pictures/plainpicture

von Denny Carl

Der Juli 2016 begann für rund 10.000 Haushalte Mittelhessens mit einer Hiobsbotschaft; In Gießen und Umgebung fand man Kolibakterien im Trinkwasser. Die Behörden forderten die Betroffenen auf, Leitungswasser abzukochen. Die Wasserbetriebe klemmten bald einen verseuchten Brunnen ab und spülten die Leitungen mit Chlor. Nach zwei Wochen war der Spuk vorbei, der sich so immer wieder in deutschen Wassernetzen ereignet.

Iris Löhlein weiß, weshalb im Notfall rasch gehandelt werden kann. „Die Wasserversorgung in Deutschland ist dezentral organisiert. Über 6.000 Versorger stellen jeweils die Qualität ihres Trinkwassers sicher“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin des Forums Trinkwasser, das mit den deutschen Wasserwerken kooperiert. Doch allein das Berliner Wassernetz bietet auf 8.000 Kilometern viel Raum für Rohrbrüche und Kontaminierungen. Da hilft nur Wachsamkeit. „Das Wasser wird regelmäßig – oft mehrmals täglich – kontrolliert, um die strengen Vorgaben der Trinkwasserverordnung jederzeit einzuhalten“, so Löhlein. Nicht umsonst gilt Trinkwasser als das am besten kontrollierte Lebensmittel.

Die Trinkwasserverordnung ist maßgebend für das Leitungswasser, das in Deutschland verbraucht wird. Sie legt fest, wie stark Wasser mikrobiologisch und chemisch verunreinigt sein darf, um noch genießbar zu sein. Dabei werden nicht nur Grenzwerte für Schadstoffe wie Nitrat, Schwermetalle, Pestizide oder Radioaktivität definiert. Auch was Geschmack, Farbe und Leitfähigkeit angeht, gibt es Vorschriften. Kritiker vermissen jedoch Grenzwerte für Hormone und Rückstände von Medikamenten. Auch das Prinzip, Proben erst beim Fund eines von drei Indikatororganismen auf weitere Erreger zu untersuchen, sorgt für Diskussionen. Gleiches gilt für den mancherorts wachsenden Gehalt von Ni­trat, radiologischen Kontrastmitteln und Süßstoffen.

Wasserbetriebe wie in Aschaffenburg räumen derlei Zweifel an ihrem Produkt aus, indem sie strengere Anforderungen an ihr Wasser als die der Trinkwasserverordnung erfüllen. „Wasserversorger engagieren sich auch für Gewässerschutz durch Kooperationen mit der Landwirtschaft in ihrer Region“, ergänzt Löhlein und verweist auf das Engagement der Münchner Wasserwerke im Mangfalltal, einem wichtigen Wassergewinnungsgebiet der Stadt.

Im Forschungsprojekt „EDIT“ entwickelt das Magdeburger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ein neues System zur Wasseranalyse. Im Vergleich zu jetzigen Methoden soll es mehr gefährliche Erreger in einem Bruchteil der Zeit bei geringeren Kosten finden. Dass Trinkwasser dadurch bald günstiger wird, ist jedoch nicht zu erwarten. Mit Kostensteigerungen von bis zu 62 Prozent rechnet die deutsche Wasserwirtschaft allein durch die Bewältigung der steigenden Nitratwerte. Zudem stehen die Sanierung ganzer Netze und höhere Förderkosten an.

Bereits heute ist das deutsche Leitungswasser mit bis zu 0,7 Cent pro Liter eines des teuersten Europas. Gegen die 19 Cent, die Supermärkte für einen Liter Wasser mindestens verlangen, wirkt es günstig. Doch der Vergleich hinkt: Für Stilles Wasser und Sprudel gelten die strengen Regeln der Trinkwasserverordnung nicht. Seit 1980 müssen nicht einmal Mineralien enthalten sein. Zudem warnen Toxikologen vor den Langzeitfolgen hormonähnlicher Stoffe in Wasser aus PET-Flaschen.

Leitungswasser: Stammt zu 70 Prozent aus Grund- und Quellwasser. Wasserbetriebe bereiten es nach strengen gesetzlichen Vorschriften zu regional spezifischem Trinkwasser auf, das permanent durch Gesundheitsämter kontrolliert wird.

Tafelwasser: Meist Trinkwasser ohne besondere Anforderungen, das je nach Hersteller nachträglich ent- oder zusätzlich mineralisiert wird, um ein einheitliches Produkt zu erhalten.

Natürliches Mineralwasser: Von Natur aus mineralisiertes Wasser, das aus einem der 820 staatlich anerkannten unterirdischen Quellen Deutschlands stammt und der Mineral- und Tafelwasserverordnung entspricht. Kohlensäure ist der einzig erlaubte Zusatzstoff.

Quellwasser: Natürliches Mineralwasser, das aus einer unterirdischen, jedoch nicht zwingend anerkannten Quelle stammt. Eine gleichbleibende Mineralisierung ist ebenfalls nicht erforderlich.

Biomineralwasser (Siegel): Natürliches Mineralwasser aus Quellen, die nach strengen Vorgaben der „Qualitätsgemeinschaft Bio-Mineralwasser“ zertifiziert sind. Das ganzheitliche Konzept umfasst die permanente Offenlegung von Wasseranalysen und nachhaltigen Umwelt- und Gewässerschutz.

Allerdings haben sich zum Beispiel Anbieter von Wasser für Babynahrung und Biomineralwasser höhere Qualitätsstandards gesetzt. Tests kommen oft zu dem Ergebnis, dass es selten lohnt, sich mit Flaschen und Kisten abzumühen und dabei einen enormen ökologischen Fußabdruck infolge Abfüllung, Verpackung und Transport zu hinterlassen. 2016 fand die Stiftung Warentest in vielen Flaschen weniger Mineralien als etwa im Leitungswasser der Stadt Rinteln. Weder in Trink- noch in Mineralwasser gab es Schadstoffe in gefährlichen Mengen. Der Griff zum Wasserhahn lohnt sich also. Gut 75 Prozent der durstigen Deutschen machen ihn laut einer Umfrage des „Forum Trinkwasser“ regelmäßig. Besonders Geschmack, Verfügbarkeit, Preis und Umweltverträglichkeit von Trinkwasser überzeugen.

Dabei schmeckt hartes Wasser am besten kalt. Freunde grünen und schwarzen Tees schwören dagegen auf weiches Wasser. Um das regional sehr unterschiedlich mineralisierte Leitungswasser weich, also kalk- und magnesiumarm zu bekommen, empfiehlt die Stiftung Warentest durchaus den Einsatz von Filterkannen. Zugleich warnt sie, dass von den Filtern auch eine Gefahr durch Bakterien ausgehen kann, die den hohen Aufwand der Wasserwerke zunichtemacht. „Wie andere Lebensmittel hat auch Trinkwasser ein Verfallsdatum“, sagt Löhlein und weist darauf hin, dass Wasser, das über vier Stunden in der Leitung stand, nicht mehr getrunken werden sollte.

Sobald das Wasser wieder kühl aus dem Hahn fließt, steht dem Genuss unseres wichtigsten Lebensmittels in einer hohen Qualität und Verfügbarkeit nichts entgegen. Auch in Mittelhessen.