Die Charité braucht Glasnost

Missbrauch einer 16-Jährigen

VON CHRISTIAN FÜLLER

Charité“ bedeutet übersetzt so viel wie Wohltätigkeit, Barmherzigkeit oder Almosen. Im Umgang mit der Beinahevergewaltigung einer 16-Jährigen in einer ihrer Kliniken hat die Charité ihre Bestimmung verraten – sie war unbarmherzig. Das Mädchen, ruhiggestellt durch Medikamente, musste miterleben, wie ein Pfleger sich an ihm verging. Es offenbarte sich den Eltern, aber die Charité offenbarte danach gar nichts. Die Klinik spielte eine Woche lang Polizei, um den Fall in Eigenregie aufzuklären. Das geht nicht. Niemand weiß heute, ob die Verantwortlichen den Fall sang- und klanglos unter den Tisch hätten fallen lassen, wenn nicht Medien den Übergriff publik gemacht hätten.

Vor nicht einmal einem Jahr wurde ein ähnlicher Fall in den Helios-Kliniken in der Stadt breit diskutiert. Das Berlin-Bucher Krankenhaus begann einen Präventionsprozess, um seine jugendlichen Patienten besser zu schützen – mit Überwachungskameras, Sichtfenstern für Krankenzimmer, aber auch mit einer gründlichen Aufklärung der Mitarbeiter und einer Telefonhotline, bei der sich Eltern informieren konnten. Helios betrieb, kurz gesagt, Glasnost.

Kein Tatort

Hat die Charité das nicht mitbekommen? Haben Chefs der Klinik gedacht: Bei uns gibt es so was nicht? Wieso hat man nicht den Charité-eigenen Täterexperten Klaus Michael Beier gebeten, sich die Chancen von Pflegern, Ärzten und Klinikmitarbeitern für den Zugriff auf Kinder und Jugendliche anzusehen?

Die Charité ist ein Krankenhaus, in dem Hunderte Kinder behandelt werden. Es wird Zeit, zu begreifen, dass man alles tun muss, damit es für schutzlose Patienten kein Tatort wird.