DAS GROSSE THEMA
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Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Umkämpftes Terrain

WARUM? Frauen haben keine freie Entscheidung über den eigenen Körper. Wer eine Abtreibung will, sieht sich nicht selten vor viele Hürden gestellt

Seit 146 Jahren dafür gekämpft, bis heute nicht erreicht Foto: Björn Kietzmann

Das ist die Hölle!

betr.: „Die ungewollte Patientin“, taz vom 6. 3. 17

Danke für diesen Artikel. Ich hab Ende 2016 eine Schwangerschaft in Berlin medikamentös abgebrochen und mich im Zuge dessen das erste Mal mit dieser entwürdigenden und entmündigenden Prozedur auseinandersetzen müssen. Ich ging noch vor der Untersuchung zu Pro Familia, um das erzwungene Beratungsgespräch zu führen. Das war angenehm, da die Beraterin genau wie ich die Hinnahme des Paragraf-218-Kompromisses von Mitte der 90er Jahre absolut unverständlich findet. Dort bekam ich eine Liste der Gynäkologen in Berlin, die Abbrüche vornehmen.

Meine behandelnde gynäkologische Praxis, wo die erste Untersuchung stattfand, lehnt Abbrüche kategorisch ab, was ich nicht wusste, da dies nirgends kommuniziert wurde. Als ich klar ausdrückte, dass ich abbrechen werde, antwortete die Ärztin mit von Mitleid triefendem Blick: „Oh nein, dabei sind Sie doch im besten Alter“, worauf ich ihr antwortete: „Ja, für mein Leben.“

Das war die erste unangenehme Erfahrung. Ich bekam eine Überweisung in eine andere Praxis und konnte dort sehr schnell und unproblematisch den medikamentösen Abbruch vornehmen.

Ich wohne nicht in Bayern und musste keine 100 Kilometer fahren, aber trotzdem empfand ich den Vorgang als extrem entmündigend. Gezwungen zu werden und länger als notwendig schwanger sein zu müssen, ist bei einer ungewollten Schwangerschaft die Hölle. Man spürt die körperliche Veränderung und kann nichts dagegen tun, außer zu warten. Immerhin konnte ich offen mit Freunden und Partnern sprechen und hatte somit tolle Unterstützung. Die Vorstellung, dass Frauen alleine und heimlich durch diese Prozedur gehen müssen, ist unerträglich. Dass das Thema weder in linkspolitischen Kreisen noch in der Öffentlichkeit thematisiert wird, zeigt leider nur die Grundstimmung in Deutschland, was es umso gruseliger macht. Keep up the good work!

Name ist der Redaktion bekannt

Ein Tabuthema

betr.: „Die ungewollte Patientin“, taz vom 6. 3. 17

Meine Erfahrungen mit Ärzten waren sehr ambivalent. Da ich mich zum Zeitpunkt meiner ungewollten Schwangerschaft nicht in meinem Heimatort befand, musste ich den Abbruch an dem Ort meines Urlaubs von einem unbekannten Frauenarzt ambulant vornehmen lassen.

Erste Anrufe beim Uniklinikum an meinem Urlaubsort ernüchterten mich sehr. Es handle sich hier nicht um einen Notfall, sodass das Uniklinikum für mich die falsche Adresse sei. Mit dem Gedanken an eine Rückreise spielend, rief ich bei meiner Frauenärztin an und wurde zuerst gefragt, ob ich während meiner Schwangerschaft dort betreut werden wollen würde. Ich sagte, dass ich mir noch gar nicht sicher sei, ob ich das Kind überhaupt bekommen wollen würde. Daraufhin erhielt ich den Hinweis auf die Pflichtberatung bei einer Familienplanungseinrichtung.

Glücklicherweise bekam ich an meinem Urlaubsort zeitnah einen Termin bei Pro Familia. Das dortige Gespräch mit der sehr einfühlsamen Mitarbeiterin habe ich sehr positiv in Erinnerung. Sie ging mit mir und meinem Freund unsere derzeitige Lebenssituation mit einer Perspektive für und gegen ein Kind durch. Anschließend verwies sie auf die drei Tage Bedenkzeit und auf eine Liste ortsansässiger Frauenärzt_innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Sie bot auch an, diese Telefonate stellvertretend für mich zu übernehmen, da ich nach den ersten sehr negativen Telefonerfahrungen ungern ein weiteres Mal abgespeist werden wollte.

Das nahm ich dankend an. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch keine ärztliche Bestätigung über eine tatsächlich vorliegende Schwangerschaft. Bei einem Frauenarzt erhielt ich einen Tag später den positiven Befund.

Der Arzt wirkte sehr erfahren und war sehr behutsam. Auch er erlaubte sich keine Wertung oder Beeinflussung einer möglichen Entscheidung gegen oder für ein Kind. Glücklicherweise waren wir zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Schwangerschaftsfeststellung dort. Darüber hinaus war es ihm sehr wichtig klarzustellen, dass allein bei mir die letzte Entscheidung liege.

Wir erhielten einige wenige Tage später den Termin für den medikamentösen Abbruch. Währenddessen wurde ich sehr fürsorglich in der Praxis betreut. Eine Nachuntersuchung einige Tage nach dem Abbruch nahm der Arzt ebenfalls vor.

Die Abschlusskontrolle musste ich dann jedoch zurück zu Hause bei der Vertretung meiner Frauenärztin vollziehen lassen. Diese Erfahrung war eher negativ, weil mir eine völlig fremde Ärztin sehr kühl begegnete.

Insgesamt hängt es maßgeblich von dem entsprechenden Arzt oder der Ärztin und deren Umgang mit Schwangerschaftsabbruch ab, welche individuelle Erfahrung man in einer sonst sehr kräftezehrenden Situation macht.

Mehr noch als die Reaktion der Ärzt_innen und deren professionelle Behandlung in dieser Notsituation machte mir der gesamtgesellschaftliche Umgang mit dem absoluten ­Tabuthema Schwangerschaftsabbruch zu schaffen. Wem kann man davon erzählen? Wie reagieren Freunde, die Familie und Bekannte? Warum fühle ich mich so schlecht in dieser Situation, wo ich doch die freie Entscheidung über meinen Körper habe? Was ist es, das mir so eine Angst vor der Black Box Schwangerschaftsabbruch macht?

Fragen, die man sich als Unbeteiligte nie gestellt hat, die aber möglicherweise mehr Menschen zwangsläufig beschäftigen, als man vermuten würde.

Ich danke noch mal der Redaktion für diese überfällige Reportage zu einem Thema, über das man nicht genug berichten kann, damit sich für die Betroffenen etwas verbessert. Nirgends sonst habe ich in einer Tageszeitung über das Thema des alltäglichen Schwangerschaftsabbruches und der Zugänglichkeit und Durchführbarkeit gelesen. Name ist der Redaktion bekannt

Deutungsmacht

betr.: „Die ungewollte Patientin“, taz vom 6. 3. 17

Religiöse Einrichtungen sollten von der Vergabe öffentlicher Gelder ausgeschlossen werden, das wäre das Beste. Es ist ein Missbrauch der Vertrauensstellung als Arzt, wenn ÄrztInnen diese Macht gebrauchen, um ihre religiösen Ansichten zu bewerben oder gar in der Gesellschaft durchzusetzen.

Kliniken, die Gelder aus der öffentlichen Hand erhalten, sollten zumindest dazu verpflichtet werden, Abtreibungen anzubieten und ÄrztInnen zu finden, die diese Eingriffe vornehmen. Außerdem sollte eine Abtreibung auch von der Kasse bezahlt werden. Eine Frau, die sich die Abtreibung nicht leisten kann, darf nicht die Hoheit über ihren Körper und ihr Leben verlieren. Ich sehe auch das generelle Problem, dass in die Deutungsmacht der Frau über den eigenen Körper hineinregiert wird.

Dass ab einem gewissen Zeitpunkt von einem „Kind“ gesprochen wird und dessen Rechte neben den Rechten der Frau gelten, ist nicht das Problem. Aber vorher ist dieser „Zellhaufen“, genannt Embryo, Teil des Körpers der Frau, und sie sollte selbst das Recht haben zu entscheiden, ob es ein „Kind“ ist oder nicht.

HANNIBAL CORPSE, taz.de

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