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Bedrohung Schreckschusswaffen sind seit dem vergangenen Jahr stark gefragt. Die Waffengeschäfte haben sich darauf eingestellt – und die Verkäufer führen mit ihren Kunden Gespräche über kriminelle Ausländer. Ein Besuch an der AngstfrontDer Hase schlägt zurück

von Kristiana Ludwig

Für eine Pistole am Gürtel genügt ein Besuch bei Herrn Heitmann. Schweigend sitzen vor seiner Tür die Antragssteller. Es sind Männer, ein junger, mit Mütze und Vollbart, und mehrere im mittleren Alter. Zeitschriften liegen in diesem Wartezimmer, ein Oldtimer-Magazin, die Auto-Bild. Mittlerweile müssen sich die Leute in diesem Flur länger die Zeit vertreiben. Dies ist das Amt für Waffen- und Jagdangelegenheiten in Hamburg. Doch Herr Heitmann sieht selten einen Jäger in seinem Büro. Er verwaltet das Sachgebiet 2, er kümmert sich um den Kleinen Waffenschein. Für Schreckschusspistolen.

Der Schein kostet bei Herrn Heitmann 53 Euro und hält mindestens drei Jahre. Sein Dienstzimmer ist schmucklos, bloß an der Wand hinter sich hat er den Fotokalender der Polizei angebracht. Es ist derselbe, der auch im Vorzimmer hängt – mit Bildern der blau-weißen Fahrzeugflotte und in manchen Monaten auch von den Polizeischiffen im Hafen. Heitmann trägt sein graues Haar kurz geschnitten, er ist ein großer, schwerer Mann, der langsam spricht und außerdem sehr sachlich. Wenn ihm jemand den „Antrag auf Erteilung eines Waffenscheins“ bringt, dann schaut er zuerst in seinen Computer. Ohne Vorstrafen erfolgt als Nächstes die Inaugenscheinnahme: „Wenn Sie mit Alkoholfahne kommen, dann kriegen Sie den Waffenschein nicht“, sagt er. Heitmann macht sich einen Eindruck. Das ist hier das Prüfungsverfahren.

Wer am Ende einen Kleinen Waffenschein besitzt, der darf Pistolen oder Gewehre bei sich tragen, die mit Knallpatronen oder Pfefferkapseln geladen sind. Schießen ist allerdings nur in Notwehr erlaubt. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Menschen mit einem Schreckschuss-Schein bundesweit rasant gestiegen. Während in den Jahren 2014 und 2015 nicht mehr als 24.000 Bürger das Dokument erwarben, waren es im vergangenen Jahr knapp 170.000.

Ob die vielen Waffen­attrappen, die mittlerweile im Umlauf sind, zu mehr Verletzungen oder Straftaten führen, ist den Behörden allerdings nicht bekannt. Die Hamburger Polizei hat zu dieser Frage keine Erkenntnisse

Das beste Geschäftaller Zeiten

In der Hamburger Waffenbehörde beantragten allein in den ersten drei Monaten des vergangenen Jahres fast 1.400 Menschen den Kleinen Waffenschein – mehr als im gesamten restlichen Jahr. Denn die Bewaffnung ist ein Trend, der mit der Berichterstattung über die Vorfälle in der Silvesternacht begann. In Köln, Hamburg und Stuttgart waren Frauen von Männergruppen überfallen und sexuell genötigt worden. Im Januar führte das Land anschließend eine hysterische Debatte über Zuwanderer und Sicherheit. In diesem Monat machte auch der Gunshop auf der Hamburger Reeperbahn das beste Geschäft aller Zeiten.

Heute ist es wieder etwas ruhiger im Schreckschuss-Fachgeschäft. Vormittags, wenn die Türsteher der Rotlichtclubs noch schlafen, bleiben nur ein paar Fußgänger vor den Schaufenstern stehen. Ein Pärchen betrachtet die Auslage. Elektroschocker, Revolver, sie halten sich an den Händen. „Guck mal, da ist Pfefferspray“, sagt die Frau mit Pferdeschwanz und pinkfarbener Winterjacke. Kurz darauf steht auch ein kräftiger Mann mit ausrasiertem Nacken vor dem Fensterglas. Er pfeift eine Melodie und betrachtet die Schlagstöcke. Eine Gruppe junger Männer geht hinein. Sie sprechen Englisch miteinander und schreiten das Sortiment ab: Klappmesser in Neonfarben, Teleskopstöcke unter Glas, dahinter Baseballschläger aus Stahl. Das Radio spielt leise Charthits.

Zu groß geratenerLippenstift

Die Pistolen liegen im Gunshop in Vitrinen. Die günstigste kostet hier 69,90 Euro, aber der Verkaufsschlager ist fast hundert Euro teurer: Die Walther P99 ist der Dienstwaffe von Polizisten nachempfunden, erklärt der Verkäufer. Er steht an der Theke, in dunkler Jacke und Jeans. Seit zwölf Jahren arbeite er hier, sagt er, aber einen Monat wie den Januar 2016 habe er nur ein einziges Mal erlebt. Da kamen doppelt so viele Kunden wie sonst in den Laden. Die Männer trugen Gaspistolen hinaus, die Frauen deckten sich mit Pfefferspray ein. Mittlerweile gibt es ein ganzes Regal voller Sprühflaschen, das Spray der teuersten Marke kostet 35 Euro. Es spritzt fünf Meter weit. Das Fläschchen „Lady No.1“ schafft das nicht, dafür schimmert es zartviolett, hat einen Goldrand und wirkt wie ein zu groß geratener Lippenstift.

Die Nachfrage nach Sicherheit sei ungebrochen, sagt der Kollege hinter der Ladentheke. Für ihn liegen die Gründe auf der Hand: Silvester, Terrorismus, „die Flüchtlinge bewaffnen sich auch“, sagt er: „Die Leute haben ihre Waffen jetzt zu Hause.“ Lange stattete der Gunshop die Türsteher vom Kiez aus, abends stolperten dann Touristen herein. Auch in einem anderen Teil der Stadt, im Waffenhaus Eppendorf, unterhält sich der Verkäufer Werner Stucke jetzt öfter mit seinen Kunden über Ausländer. Eine Schießerei habe es gegeben, erzählte ihm einer, im Stadtteil Nettelnburg seien 25 Flüchtlinge aufeinander losgegangen. „Sie wissen gar nicht, was los ist“, habe der Mann gesagt, und in der Presse habe das überhaupt nicht gestanden. „Das lag daran, dass es nicht stattgefunden hat“, sagt Stucke: „Da ist ein schöner Hype im Gange.“

Im Waffenhaus Eppendorf steht nur ein einziges Regal, an dem sich die Besitzer eines Kleinen Waffenscheins bedienen können. Im übrigen Laden gibt es keine Attrappen. An holzvertäfelten Wänden sind Flinten aufgereiht, auf Glasplatten stehen die kleineren Handfeuerwaffen. In einem Eichenschrank und unter der Theke sind Patronen aufgestellt, außerdem gibt es hier waldgrüne Jacken zu kaufen und ein Horn.

Ein Herr mit weißem Bart und Wanderschuhen betritt das Geschäft. Er hält eine schwarze Büchse zwischen Daumen und Zeigefinger, Stucke beugt sich vor. „Oh weia“, sagt er: „Da kann ich jetzt nicht viel machen. Sie wissen, dass ich heute nur vertrete. Der Chef ist bei der internationalen Waffenausstellung.“ Der Jäger nickt und wendet sich den Büchern zu: „Wegen der Geschichte guck ich nochmal rein.“ Schließlich kauft er die neuste Ausgabe der Zeitschrift Visier.

Werner Stucke ist 76 Jahre alt, trägt einen grauen Wollpullover, und wenn er mittags das Geschäft verlässt, dann heftet er einen Zettel an die Tür: „Bin essen in der Meise.“ Seinen echten Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Stucke ist Rentner und es ist sein Nebenjob, Schusswaffen zu verkaufen. Er kennt sich eben damit aus. Als Kind ließ ihn sein Vater im Keller auf Scheiben schießen. Das Zielen sei gut für die Konzentration in der Schule, sagte der immer. Später wurde Stucke Sportschütze, heute kann er die Debatten über Waffengesetze nicht leiden. In Eppendorf bediente er meist Stammkunden.

Das letzte Jahr war anders. Jetzt kamen Männer in den Laden, die Schreckschusspistolen für ihre Frauen kaufen wollten. Oder Frauen, denen Werner Stucke meist einen falschen Revolver empfiehlt. Dann nimmt er die Trommel in die Hand, dreht die Kammern und zeigt, dass eine von ihnen leer bleiben sollte. Damit sich nicht versehentlich ein Pfeffer-Schuss löst. „Es gibt eine ganze Menge Leute, die ängstlich sind“, sagt er. Aber Stucke findet die Schreckschusswaffen trotzdem gefährlich. Sie schleudern Dreck heraus, der ins Auge gehen kann, und wer einem Menschen mit schwachem Herzen eine Gaspistole auf die Brust setze, könne ihn bedrohlich verletzen.

Ob die vielen Waffenattrappen, die mittlerweile im Umlauf sind, zu mehr Verletzungen oder Straftaten führen, ist den Behörden allerdings nicht bekannt. Die Hamburger Polizei hat zu dieser Frage keine Erkenntnisse. Das werte man nicht aus, heißt es von der Pressestelle. Auch das Innenministerium antwortete im vergangenen Monat auf eine Anfrage der Grünen, der Bundesregierung sei „nicht bekannt, inwieweit Personen, denen ein ‚Kleiner Waffenschein‘ erteilt wird, diesen auch tatsächlich nutzen“.

Pfefferspray imWeidenkörbchen

Waffenhändler Werner Stucke weiß also nicht, ob aus der Notwehr seiner Kunden auch manchmal Angriffe werden. Er weiß nur: „Der Trend ist immer noch vorhanden.“ Ihr Tränengas verkaufen sie regelmäßig aus. Sein Chef hat das Schaufenster dekoriert. Neben dem ausgestopften Fuchs steht ein Hase, den der Präparator in eine aufrechte Sitzposition gebracht hat. Vor dem Bauch trägt er ein Weidenkörbchen, es ist jetzt ein Osterhase. Er trägt ein Geschenk darin. Es ist ein Pfefferspray.

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