Das Ding, das kommt: Schnafte Live-Schätzchen
Ursprünglich im Hamburger Mittelweg eröffnet, verlegte die Musikkneipe „Onkel Pö“ ihren Sitz 1971 vom Stadtteil Pösel- nach Eppendorf. Der bis zu 350 Besucher fassende (aber offiziell nur für 180 zugelassene) Raum diente fortan als Hausbühne der Hamburger Szene – und als Brutstätte für die späteren Stars Otto Waalkes und Udo Lindenberg. Al Jarreau und Helen Schneider nutzten ihn als Sprungbrett für ihre Weltkarrieren. Auch zahlreiche New-Wave- und NDW-Bands gastierten dort, etwa U2, Talking Heads, Palais Schaumburg und Trio. Heute schwer vorstellbar, aber der Laden, der 1985 für immer schloss, war echt hip – „schnafte“, wie man früher sagte.
„Onkel Pö’s Carnegie Hall“, so der vollständige Name des von Peter Marxen und Holger Jass betriebenen Live-Klubs, hat sich vor allem um Jazz verdient gemacht. Die Liste der internationalen Genregrößen, die sich im Lehmweg 44 die Klinke in die Hand gaben, ist atemberaubend: Art Blakey, Charlie Haden, Archie Shepp, Carla Bley, Pat Metheny und Cecil Taylor bespielten die kleine Bühne für relativ bescheidene Gagen. Die Eintrittspreise lagen zwischen fünf und 12 D-Mark. Viele dieser Konzerte hat damals der NDR aufgezeichnet, und einige dieser Mitschnitte sind jetzt wieder als CDs und Vinylplatten beim Label Sunnyside erhältlich.
Die Reihe „At Onkel Pö’s Carnegie Hall“ startet mit Live-Aufnahmen des Blues- und Funk-Musikers Johnny „Guitar“ Watson, der sich 1976 als rockige Alternative zu James Brown empfahl, sowie der Jazz-Giganten Chet Baker und Dizzy Gillespie. Während Gillespie im März 1978 seine Band durch ein Set mit Jazzfunk, Latin-Jazz und Speed-Bop jagte, tauchte Baker ein Jahr danach mit akustischem Quartett das „Pö“ in kühles, tiefes Blau.
Für Anfang April sind weitere Veröffentlichungen angekündigt. Blues-Freunde dürften mit Entzücken den Mitschnitt von Albert Collins and the Icebreakers (1980) erwarten. Den nächsten Höhepunkt bildet eine Doppel-CD mit Elvin Jones’Jazz Machine. Der ehemalige Coltrane-Schlagzeuger beschwörte im September 1981 mit ausladenden Improvisationen noch mal den Geist der 1960er im „Pö“ – und wurde dafür frenetisch bejubelt.
Überflüssig zu sagen, dass die Aufnahmequalität in allen Fällen amtlich ist. Etwaige Nebengeräusche machen das Ganze atmosphärisch nur reizvoller. Was das NDR-Archiv wohl noch so alles hergibt? MICHELE AVANTARIO
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen