„Nun tickt der Zeitgeist wieder anders“

Das bleibt von der Woche Im CDU-Kreisverband Steglitz-Zehlendorf tauchen gefälschte Stimmzetteln auf, an der Charité sind die MitarbeiterInnen trotz neuem Tarifvertrag überlastet wie eh und je, Paul Auster glänzt, und Senatorin Sandra Scheeres nimmt sich nun der Sekundarschulen an

Ein ganz neuer Abgrund

CDU-Fälschungsskandal

So etwas schien nur in der Serienwelt von "House of Cards" zuhause zu sein

Absprachen – geschenkt. Lügen – altbekannt. Ja, sogar Unter-Druck-Setzen wäre nichts Neues, weder bei der CDU und bei den meisten anderen Parteien auch nicht. Fälschung von Stimmzetteln aber, wie sie am Dienstag im CDU-Kreisverband Steglitz-Zehlendorf bekannt geworden sind, das ist ein ganz neuer Grad an Abgründigkeit. Ob es jetzt Urkundenfälschung im strafrechtlichen Sinn ist oder moralisch verwerfliche Trickserei im Kampf um die örtliche CDU-Bundestagskandidatur: Es ist so, dass man es weder dem unter Verdacht stehenden Abgeordneten Karl-Georg Wellmann noch seinem Herausforderer Thomas Heilmann – den Wellmann im Gegenzug beschuldigt – zutrauen mag.

So etwas schien nur in der Serienwelt von „House of Cards“ zu Hause zu sein, dem britischen BBC-Original wie der noch zynischer daherkommenden US-Politserie mit Kevin Spacey. Zu abstrus ist die Vorstellung, ein 64-jähriger gut situierter Rechtsanwalt und langjähriger Bundestagsabgeordneter könnte zum Fälscher werden, Ruf und komplette Lebensleistung riskieren, nur um weitere vier Jahre im Parlament zu bleiben. Noch weniger mag man Heilmann eine Intrige unterstellen, auch wenn manchem seine Darstellung als alleiniger Erneuerer und Entfilzer der Berliner CDU zu selbstherrlich erscheinen könnte.

Fakt ist aber, dass irgendwer diese 350 Stimmzettel gefälscht und in die CDU-Geschäftsstelle geschickt haben muss – sonst wären sie ja nie aufgetaucht. Sie liegen ja vor, sie wurden ja sogar von der ermittelnden CDU-Kommission semikriminalistisch auf Fingerabdrücke untersucht.

Am tröstlichsten wäre noch diese Vorstellung: Irgendein ein subalterner Mitarbeiter hätte das Ganze in Eigeninitiative auf den Weg gebracht, in dem ungesunden Verlangen, seinem Chef selbst mit illegalen Mitteln zu helfen – vielleicht aus reiner Begeisterung, vielleicht ganz nüchtern nur, um den eigenen Job zu sichern. So nach dem Motto: Der Chef ist für so etwas ein zu guter Mensch, da muss ich mir die Finger dreckig machen. Doch zum einen geht es hier nicht um unüberschaubar große Mitarbeiterstäbe. Und zum anderen lehrt „House of Cards“: So laufen die Dinge nur, wenn der Mitarbeiter ganz genau weiß, mit der Drecksarbeit im Sinne des Chefs zu handeln. Stefan Alberti

Entweder Goldesel oder sozial

Charité-Tarifvertrag

Was SPD und Linkspartei damals "alternativlos" schien, gilt heute als Fehler

Man kann dieser Tage wieder schön beobachten, wohin es führt, wenn Wirtschaftsbereiche, die der allgemeinen Daseinsvorsorge dienen, so durchkapitalisiert sind, dass nur noch Geld und Gewinn zählt. Beispiel Charité: Das Großunternehmen in Landesbesitz, das Jahreseinnahmen von 1,5 Milliarden Euro verzeichnet, hatte im vorigen Jahr einen Tarifvertrag abgeschlossen, der allseits bejubelt wurde. Weil darin erstmals Maßnahmen beschlossen wurden, um den – wie in allen deutschen Krankenhäusern – völlig überarbeiteten KrankenpflegerInnen Entlastung zu bringen. Am Mittwoch aber hat die Gewerkschaft Verdi klargestellt: Die Maßnahmen wurden schlicht nicht angewandt, die MitarbeiterInnen sind genauso überlastet wie ehedem.

Nun kann man sich hinstellen und die Geschäftsführung dissen, weil sie eher an ihre Bilanz denkt als an ihre Mitarbeiter. Allein: Genau das war und ist die politische Vorgabe. Seit den neoliberalen Goldgräbertagen der Nachwendezeit ist alles und jeder dazu verdonnert, Gewinne abwerfen – oder wenigstens seine Kosten selbst zu erwirtschaften: seien es kommunale Wohnungsbauunternehmen, Verkehrsbetriebe, Wasserwerke oder eben Krankenhäuser.

Bei der Charité hat das bekanntlich sogar dazu geführt, dass wichtige Arbeitsbereiche – vom Essen, übers Röntgen bis zu den Krankentransporten – in das „Tochterunternehmen“ CFM ausgegliedert wurden – das sogar teilweise privatisiert wurde. Die Folge: Seit 12 Jahren sind die CFM-MitarbeiterInnen gehaltstechnisch Charité-MitarbeiterInnen zweiter Klasse – übrigens dank eines „linken“ Senats.

Nun tickt der Zeitgeist wieder anders: Was SPD und Linkspartei damals „alternativlos“ schien, gilt heute so manchem als Fehler. Die neue „Links“-Regierung von Rot-Rot-Grün will die privatisierten CFM-Anteile zurückkaufen und die Bezahlung der MitarbeiterInnen an die der Charité-Leute angleichen. Im Sommer soll der Deal stehen, wie ebenfalls diese Woche bekannt wurde.

Das wird kosten. Wie viel, weiß bislang keiner, aber eines ist klar: Zwei sich widersprechende Prinzipien kann man nicht gleichzeitig verfolgen. Entweder die Charité folgt dem Primat von „Wirtschaftlichkeit“ oder dem von „guter Arbeit“ (sprich: Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit). Wenn nun Letzteres wieder en vogue ist, ist das schön. Aber dann sollte die Politik so konsequent sein und die Geschäftsführung vom Zwang zum Gewinnemachen befreien.

Das gilt übrigens nicht nur für die Charité: Auch Wohnungsbauunternehmen können „soziale Mieten“ nur verlangen, wenn sie nicht als Goldesel herhalten müssen. Aber ob sich der neue Senat traut, das laut zu sagen? Susanne Memarnia

Ein schöner, glamouröser Abend

Paul Auster erscheint

Sein Lächeln wirkt immer noch so schelmisch wie das eines Dreizehnjährigen

Schon im Foyer des Sendesaals des RBB hatte man gar nicht das Gefühl, man sei hier auf einer Lesung gelandet, einer völlig normalen Wasserglaslesung. Auf der nichts weiter geschehen würde, als dass ein Autor aus seinem Buch liest, die eine oder andere mehr oder weniger originelle Frage beantwortet und am Ende Bücher signiert. Nicht, dass hier etwas anderes als das Genannte geschehen würde, aber es las eben nicht irgendein Autor.

Am Montagabend fand eine der seltenen Lesungen von Paul Auster in Berlin statt. Von einem Autor also, der hierzulande seit Erscheinen seiner New-York-Trilogie 1989 von vielen kultisch verehrt, der mehr gelesen wird als in seiner Heimat, den USA, und der jetzt immerhin sein über 1.200 Seiten dickes Magnum Opus geschrieben hat.

Also keine der üblichen Veranstaltungen, sondern Damen in langen Abendkleidern mit kleinen Handtäschchen, Herren in Anzügen, mit Sekttrinken wie in der Oper, freudige Erwartung. Als es endlich losgeht, nimmt Sänger Jochen Distelmeyer in der ersten Reihe Platz, der ebenfalls bei Rowohlt ein Buch veröffentlicht hat, in der zweiten Reihe platziert sich Ex-„Tatort“-Darsteller Boris Aljinovic: Berliner Prominenz der angenehmeren Sorte.

Plötzlich geht ein Raunen durchs Publikum, als der Autor endlich die Bühne betritt, ein Raunen allerdings, das sofort in schallenden Applaus übergeht. Paul Auster ist älter geworden – vor wenigen Tagen hat er seinen Siebzigsten gefeiert –, sein Lächeln aber wirkt immer noch so schelmisch wie das eines Dreizehnjährigen. Auch, dass er so höflich ist, Berlin sofort als eine der spannendsten Städte der Welt zu loben, die ihm mindestens so interessant erscheint wie New York, kommt prima an bei seinen Zuhörern.

Ein schöner, ein glamouröser Abend, den Auster den Berlinern da beschert. Und doch verlassen die Leute den Saal am Ende mit nachdenklichen Gesichtern. Austers Roman spielt zu einer Zeit, in der die Bürgerrechtsbewegung in den USA gerade Schwung aufnahm. Es geht darin viel um die Frage, wie weit sich der Mensch selbst erfinden, ob er wirklich einfach werden kann, was er will. Auster, der an diesem Abend lieber nicht so viel über Trump sprechen will, legt nahe: Es sieht so aus, als wollten viele Amerikaner dieses großartige Versprechen, an dem er selbstverständlich unbedingt festhält, derzeit wieder zurücknehmen. Susanne Messmer

Die Erkenntnis kommt spät

Bilanz zur Schulreform

Bildungssenatorin Scheeres will diese Entwicklung nun stärker steuern

Wer das große Rad dreht, tut gut daran, die kleinen Stellschrauben nicht zu vergessen, wenn er – in dem Fall: sie – nicht will, dass einem der ganze Laden am Ende um die Ohren fliegt. Das ist zumindest die Lektion, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) aus der Begleitstudie zur Schulreform lernen könnte, die am Mittwoch vorgestellt wurde.

Es war in der Tat kein leichtes Erbe, so viel muss man Scheeres zugutehalten, das Exbildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) seiner Nachfolgerin und Parteikollegin zu deren Amtsantritt 2011 hinterlassen hatte. Einfach mal kurzerhand die Hauptschule abgeschafft, die ohnehin bloß Scherereien machte: schlechte Schüler, die kaum ein Unternehmen ausbilden wollte, viele ohnehin ohne jeden Abschluss. Stigmatisierte Schulen, die kaum noch Schüler hatten, weil Eltern, die sich auch nur ein bisschen für den Bildungsweg ihrer Kinder interessierten, einen großen Bogen um sie machten.

Der Ruf der Hauptschule in Berlin war wohl in der Tat für alle Zeiten ruiniert. Also drehte Zöllner kurz vor seinem Abgang einfach noch mal das ganz große Rad – und dachte sich ein komplett neues Schulsystem für Berlin aus: Neben dem Gymnasium sollte es nur noch die Integrierte Sekundarschule geben. Teils legte man dafür Real- und Hauptschulen zusammen, teils heftete man auch einfach ein neues Schild ans Schultor ehemaliger Hauptschulen. Die Hoffnung: Indem man stärkere mit schwächeren Schülern mischt und theoretisch jedem den Weg zum Abi­tur öffnet, sollte die Herkunft weniger stark darüber entscheiden, auf welcher (Reste-)Schule man landet. Doch man baute einen Haken ein, der die Reform von Anfang an zum Scheitern verurteilt hat. Denn während die ehemaligen Gesamtschulen meist eine eigene Oberstufe am Standort haben, ist das insbesondere bei ehemaligen Hauptschulen nicht der Fall. Zwar kooperieren Letztere dann mit den beruflichen Gymnasien in der Stadt – deswegen die theoretische (Fach-)Abi-Chance für jedermann.

Doch solange bildungsbewusste Eltern die Wahl haben, wählen sie. Und sie entscheiden sich, das hat die Studie gezeigt, selbstverständlich für die Schulen, die mit einer eigenen Oberstufe aufwarten können. Merke: Wenn es um die Bildungschancen des eigenen Kindes geht, sind Eltern nicht besonders offen für Experimente.

Was also tun? Seit 2014 können sich Sekundarschulen ohne eigene Abi-Option am Standort zusammentun und gemeinsam eine Oberstufe aufbauen. Sechs solcher „Verbundlösungen“ sind seither entstanden – und, oh Wunder, die Schulen berichten über eine völlig neue Schüler­klientel. Scheeres will diese Entwicklung nun stärker von oben steuern, sagte sie am Mittwoch. Eine wichtige Stellschraube, die entscheidende. Die Erkenntnis kommt spät. Anna Klöpper