8.000 Wörter reichen

ELECTRIC LITERATURE Eine neue Zeitschrift im Netz

Ein literarischer Text im 21. Jahrhundert hat nicht länger als 8.000 Wörter zu sein. Der Überzeugung sind die Herausgeber der amerikanischen Literaturzeitschrift Electric Literature, Andy Hunter und Scott Lindenbaum, die ebendiese Anzahl von Wörtern als Obergrenze für Einsendungen setzen.

Electric Literature, dessen zweite Ausgabe im Oktober erschien, ist ein Bekenntnis zur Aktualität von Literatur und eine Möglichkeit den Beweis anzutreten, dass das Internet unabhängigen VerlegerInnen eine große Chance bietet.

„The keys to the kingdom are not in Amazon’s hands. They are in ours“, schreibt Andy Hunter in seinem Essay „If New Media is a Giant Killer, Will Independent Publishing Get the Golden Eggs?“ Electric Literature soll sich in dem Raum etablieren, in dem es weniger um Bestseller als um lesenswerte Literatur geht. Die Zeitschrift hat gute Chancen, sich durchzusetzen, weil es LeserInnen anspricht, denen die ständige Textkommunikation – SMS, E-Mail, Twitter, Blogs – alltäglich ist. Die Zeitschrift ist in jedweder digitalen Form zu beziehen: Als E-Book, auf dem Kindle, auf dem iPhone und als Hörbuch. All diese Verbreitungswege haben den Vorteil, dass sie keinen teuren Herstellungsprozess erfordern.

Fünf starke Stimmen

Literarisch ist das Profil klar umrissen: Man will „starke Stimmen, die den Lesern fesseln“, fünf pro Ausgabe, nicht mehr – darunter Jim Shepard, National-Book-Awards-Finalist, und Pulitzer-Preisträger Michael Cunningham. Großartig ist Shepards Kurzgeschichte „Your Fate Hurtles Down at You“, die von zwei Brüdern im Davos der 1930er Jahre handelt. Die Bedrohung und Unwägbarkeit von Lawinenabgängen verbindet der Erzähler elegant mit Gefühlen, die die Vergangenheit bei ihm heraufbeschwört. Neben den Schwergewichten Cunningham und Shepard haben die anderen Autoren ihre eigene, erfrischende Sprache und nähern sich ihren nicht unbedingt einfachen Sujets auf angemessene Weise.

Electric Literature nutzt alle Möglichkeiten des Internets. So werden kurze Online-Videos zu den Texten erstellt: Shepards Kurzgeschichte wird im Hergé-Stil illustriert, „The Comedian“, ein Text von Colson Whitehead, mit Ausschnitten aus verschiedenen TV-Sendungen. Für die dritte Ausgabe wird Rick Moody eine Kurzgeschichte twittern. Electric Literature hat zudem einen Weblog und Accounts bei Twitter und Facebook. Mit dem Slogan „Reading that’s bad for you“ wurde in gedruckten Magazinen geworben.

Genau das muss die Literaturzeitschrift der Zukunft können: Im Internet wie gedruckt präsent sein und in den Texten wie in der Gestaltung eine klare Linie beibehalten, dabei aber der Dauerhaftigkeit und den abgegrenzten Raum, die die Literatur braucht, Tribut zollen – also sie nicht in einem kurzlebigen Weblog-Projekt präsentieren. Electric Literature ist kein Organ einer Avantgardebewegung, die sich in den Texten selbst die Frage nach einer Literatur unter neuartigen Bedingungen stellt. Aber das Magazin gibt Literatur einen zeitgemäßen Ort.

ELIAS KREUZMAIR