Einmal im Monat abtasten

Bunte Vorbereitung auf das Ende des staatlichen Gesundheitssystems: das neue Magazin „Healthy Living“

Woche für Woche stecken sich die Redakteurinnen von Frauengesundheitsblättern wie Vital oder Wellfit, die Mitarbeiterinnen der Fitness-Ressorts von Magazinen wie Brigitte, Für Sie oder Freundin die Fingerkuppen in den Mund und saugen, was das Zeug hält. Mit Mühe spucken sie etwas Neues aus. Meistens etwas, was schon mal da war. Weit ab vom hübschen Stammhaus, im lieblosen Behördenflair Hamburg-Bahrenfelds, hat Gruner+Jahr nun eine ganze Sauganlage aufstellen lassen, um mit Healthy Living G+Js „ersten Full-Service-Gesundheitsratgeber für Frauen“ anbieten zu können.

Alkohol zum Essen

Unter der Führung des ehemaligen G+J-Entwicklungschefs Walter Dreher ist ein Monatsheft im Pocketformat entstanden, dessen Seiten weder anders aussehen noch anderes bieten als Vital oder Wellfit, Brigitte, Für Sie oder Freundin. „Wellness war gestern – jetzt kommt Healthy Living“ ist der Slogan, und als gäbe es kein Morgen, wurde hineingepackt, was man alles wissen könnte, wenn es einen interessieren würde: Allein 33 Stichworte nennt das Inhaltsverzeichnis, darunter 107 Einzelpunkte von „Alkohol zum Essen“ über „Gebärmutterhalskrebs“ zu „Versicherung für Zahnersatz“. 15 MedizinerInnen beraten die Redaktion, damit die Leser das ganze ernst nehmen und bereit sind, 2,20 Euro auszugeben, statt zur kostenlosen Apothekenumschau zu greifen.

Hat man beim Stern-Ableger Gesund leben das Gefühl, zu einem Mediziner ohne Abschluss ausgebildet zu werden, so sitzt Healthy Living dem gleichen Problem auf, das auch bei der Lektüre anderer wohlmeinender Frauen-Gesundheitsfibeln entsteht: Die Leserin gerät auf allen Ebenen in den „So ist es richtig“-Sog und kann kaum anders, als überfordert zu sein. Da jedes der 107 Themen ganz nah an die Leserin herangeschrieben ist und sehr einfach klingt – „Einmal im Monat sollten Sie Ihre Brust abtasten“, „Frischekicks gegen Falten – nur fünf Minuten am Tag genügen“ –, kommt sie kaum umhin, zu wissen, dass sie der Aufforderung folgen sollte. Zu ahnen, dass sie es nicht tun kann. Und in der Folge das Gefühl zu entwickeln, versagt zu haben.

Verstärkt wird das „Zuviel“ durch das kleine Format der Seiten, auf denen sich Tipps, Tabellen und News tummeln wie die Zirkusakteure beim Finale, sowie Anzeigenseiten, die sich konterminierend zwischen die redaktionellen Inhalte schieben. Die G+J-Geschäfts-Strategie ist einfach: Vor dem Hintergrund der „Veränderungen im Gesundheitssystem“ setzt das Verlagshaus auf „mehr Eigenverantwortung für den Einzelnen“, wie es in der Pressemitteilung heißt – sprich, wo sich bald nur noch die Wohlhabenden die nötigen Behandlungen leisten können, ist der denkende, zur Prävention gezwungene Mittelstand der Goldesel der Verleger.

Tolle Überraschungen

Da Wellness nicht nur gestern war, sondern auch ein weites Feld ist, gibt es auch künftig tolle Überraschungen, wenn G+J seine Saugmaschine wieder anschmeißt. So dürfen alle zukunftsgesunden Leserinnen schon jetzt auf Heft zwei setzen. Dann kommt ein Elefant ins Spiel und der bedeutet „Wellness auf Afrikanisch“. Heike Peters