„Wir können nicht ewig im Kosovo bleiben“

Deutsche Soldaten agieren in Bosnien, Kosovo und in Afghanistan. Wie lange noch? Einfache Antworten gibt es nicht, so Exgeneral Klaus Reinhardt. Aber künftig müssen militärische und zivile Aufgaben klarer unterschieden werden

taz:: Herr Reinhardt, Ihre Bilanz der bisherigen Bundeswehreinsätze im Ausland fällt ziemlich schlecht aus. In Bosnien, Kosovo und Afghanistan sehen Sie erhebliche Probleme. Was schlagen Sie vor? Den Rückzug?

Klaus Reinhardt: Nein, aus den Ländern rauszugehen, wäre der völlig falsche Ansatz. Das kann man nicht machen, wenn man einmal drin ist. Aber wir sind zum Beispiel seit zwölf Jahren in Bosnien. Die Frage der wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung ist ungeklärt, und sie muss beantwortet werden. Wir können ja nicht auf ewig dort bleiben. Im Kosovo sind wir im sechsten Jahr, und es ist noch kein Ende in Sicht. Mir geht es darum, einen Rahmen zu finden, um die Kräfte abzuziehen, ohne dass der Konflikt erneut aufflammt.

Wie soll dieser Abzug aussehen?

Das ist nicht pauschal zu beantworten, sondern muss von Land zu Land entschieden werden. Am Beispiel Kosovo wird klar, dass die politische Situation der Minderheiten – das sind übrigens nicht nur Serben, sondern auch Türken, Bosniaken, Roma und Askali – entscheidend ist. Sie brauchen eine wirkliche Sicherheit und eine Perspektive. Das heißt, das Land braucht nicht nur eine Verfassung, sondern in der Verfassung muss auch gewährleistet sein, dass die Minderheiten in der gleichen Sicherheit leben können wie die Mehrheiten. Das darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern muss von allen Beteiligten akzeptiert werden. Erst dann können wir die Kräfte abziehen. Das wird sicher nur schrittweise gehen.

In Ihrem Barcelona-Report an den Hohen Repräsentanten der EU, Javier Solana, empfehlen Sie den Aufbau einer „Human Security Response Force“. Was meinen Sie damit?

Ich habe zusammen mit anderen Sachverständigen vorgeschlagen, die zivilen und die militärischen Kräfte der EU besser zu verzahnen und aufeinander abzustimmen. Es soll also eine Zusammenarbeit dieser beiden bislang weitgehend getrennten Bereiche unter zentraler politischer Führung in einer „Human Security Response Force“ geben. Um Konflikte zu vermeiden, soll von vornherein klar sein, welche Kräfte zum Einsatz kommen und wie das Ziel der Mission definiert ist.

Warum soll für die zivil-militärische Zusammenarbeit ein eigener Kern gebildet werden? Warum werden nicht die mobilen EU-Eingreiftruppen, die so genannten Battle Groups, selbst mit zivilen Fähigkeiten ausgestattet?

Sie können die Battle Groups gegebenenfalls nutzen, wenn es die Größenordnung eines Einsatzes ermöglicht. Das ist kein festes Schema. Wir wollen aber im Krisenfall ad hoc aus den bestehenden Elementen je nach Lage zivile und militärische Kräfte zusammenbringen – unter zentraler Führung aus dem ebenfalls im Entstehen begriffenen zivil-militärischen Lagezentrum in Brüssel. Dazu sollen etwa 5.000 Leute – Soldaten, Polizisten, Juristen und weitere zivile Kräfte – in einem hohen Bereitschaftsgrad zur Verfügung stehen.

Wie schnell sollen Sie verlegbar sein und wo sollen Sie zum Einsatz kommen?

Am Rande Europas geht es schneller, in Afrika oder auch in Gegenden wie Afghanistan, wo wir von ukrainischen Maschinen abhängig sind, wird es länger dauern. Aber es geht nicht um viele Wochen, sondern eher um Tage. Der Einsatzort ist dort, wo die Interessen der EU gefährdet sind oder wo uns die Vereinten Nationen um Unterstützung bitten werden.

Sind solche zivil-militärischen Verbände nicht eine Alibiveranstaltung für die eigentlichen Kampfeinsätze der hochgerüsteten Battle Groups?

Darum geht es nicht. Die Frage ist, wie in der „Human Security Response Force“ die zivilen und die militärischen Fähigkeiten besser verknüpft werden können, weil beide für den Erfolg von Einsätzen unabdingbar sind.

Aber in einem heißen Konflikt gehen erst die Battle Groups in den Kampfeinsatz, dann bestellt die „Human Security Response Force“ das Feld?

Eine Battle Group, die im Kamfeinsatz ist, kann man nicht per Handauflegen zur zivilen Peace-Keeping-Mission machen. Genau den Fehler haben unsere amerikanischen Freunde im Irak gemacht. Die Vorbereitung ist für Peace Keeping ganz entscheidend. Aber einen festen Ablauf kann man nicht vorgeben. Wenn ein Nation um den Einsatz bittet, wird das kein Kampfeinsatz. Wenn in einem Land interveniert wird, in dem sich Warlords gegenseitig bekämpfen und die staatliche Macht zerfällt, müssen Sie gegebenenfalls mit einem Kampfeinsatz einen Brückenkopf bilden, damit die „Human Security Response Forces“ überhaupt erst reinkommen können. Da gibt es keine Standardlösung.

INTERVIEW: SEBASTIAN SEDLMAYR