Kritische Stimme in Minsk verstummt

Narodnaja Wolja, eine der letzten weißrussischen oppositionellen Zeitungen, macht dicht. Nach einem fragwürdigen Prozess sind die Konten eingefroren und die Arbeitsmittel beschlagnahmt. Dass das Verfahren noch läuft, interessiert niemanden

VON BARBARA OERTEL

Weißrusslands autoritärer Staatschef Alexander Lukaschenko, den die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen in ihrer Rubrik „Verräter der Pressefreiheit“ führt, macht seinem Namen mal wieder alle Ehre: Am vergangenen Dienstag musste die Narodnaja Wolja (Volkswille), eine der wenigen noch verbliebenen oppositionellen Tageszeitungen, ihr Erscheinen einstellen. Wenige Tage zuvor waren die Konten des Blattes eingefroren worden. Den Rest erledigten Milizbeamte, indem sie das Verlagsgebäude stürmten und Computer, Druckmaschinen sowie Papier beschlagnahmten.

„Die Schließung der Zeitung kommt einer Verhängung der Todesstrafe gegen die Meinungsfreiheit, die Vielfalt von Meinungen und die Demokratie in diesem Land gleich“, sagte Chefredakteur Jossif Sereditsch. „Es ist eine schwere Verletzung der Rechte hunderttausender Leser, die die Zeitung abonniert haben, am Kiosk kaufen oder von Hand zu Hand weiterreichen.“

Vorausgegenagen war dem –zumindest vorläufigen – Ableben der Zeitung eine für den weißrussischen „Rechtsstaat“ typische Prozedur. Im vergangenen Juni hatte ein Minsker Regionalgericht Narodnaja Wolja zu einer Geldstrafe von umgerechnet 47.000 Dollar verurteilt. Stein des Anstoßes war ein Artikel vom vergangenen März mit dem Titel „Der Brief von Haidukewitsch und das an ihn adressierte Fax“. Besagtem Beitrag war die Fotokopie eines Faxes einer irakischen Firma aus dem Jahre 2002 beigefügt, aus dem hervorgeht, dass Sergej Haidukewitsch, Chef der liberaldemokratischen Partei und Lukaschenko-Jünger, beim irakischen Ölministerium noch mit rund einer Million Dollar in der Kreide steht. Zudem zitierte Narodnaja Wolja eine entsprechende Aussage eines Übersetzers des irakischen Außenministeriums, der den Verhandlungen zwischen Haidukewitsch und der Regierung von Saddam Hussein beigewohnt hatte.

Haidukewitsch klagte gegen die Zeitung – wegen Diffamierung sowie Verletzung seiner persönlichen Ehre und Würde. Eine erfolgreiche Klage wegen Ehrverletzung samt einer saftigen Geldstrafe ist in Weißrussland ein probates Mittel gegen missliebige Medien und kostete bereits mehrere unabhängige Zeitungen ihre Existenz.

So überraschte es auch niemanden, dass Narodnaja Wolja den Prozess verlor und sich das Gericht dabei auch nicht um einen weiteren Zeugen der Verteidigung scherte. Alexander Rabotai, Politiker der liberaldemokratischen Partei, berichtete, wie er vom irakischen Ölministerium aufgefordert worden sei, Haikukewitsch an die Begleichung der Schulden zu erinnern. So habe die liberaldemokratische Partei 2001 zwei Millionen Barrel irakisches Öl verkauft, die vereinbarte Kommission aber nicht an Bagdad abgeführt.

Im Juli und September verwarf ein weiteres Gericht in Minsk die Berufung von Sereditsch und hielt die Strafe aufrecht. Derzeit ist ein Verfahren beim Obersten Gericht anhängig. Doch auch dies ist für die weißrussischen Behörden kein Hinderungsgrund, wenn es darum geht, Fakten zu schaffen. Und die sind eindeutig: regimekritische Medien ausschalten, und das mit allen Mitteln.

Narodnaja Wolja, die mit einer Auflage von 30.000 Exemplaren fünfmal wöchentlich erschien und Beiträge in Russisch und Weißrussisch veröffentlichte, dürfte nicht der letzte Fall sein. In der letzten Woche verurteilte ein Minsker Distriktgericht den Chefredakteur der Zeitung Zhoda und seinen Stellvertreter jeweils zu einer Geldstrafe von 1.300 Dollar. Der Grund: Verbreitung falscher Informationen. Das Blatt hatte mehrere Fotomontagen veröffentlicht.