Erdoğan ist vorerst gestoppt

Syrien Die Kurden haben die Region um die Stadt Manbidsch zum vierten autonomen Kanton erklärt. Für Ankara ist das die zweite große Niederlage im Nachbarland

Zwischen die Fronten geraten: eine nach Manbidsch geflüchtete Zivilistin Anfang März Foto: Rodi Said/reuters

Aus IstanbulJürgen Gottschlich

Angesichts des anhaltenden Konflikts zwischen der Türkei und Holland ging eine zentrale Nachricht in der türkischen Öffentlichkeit fast unter: Die Kurden in Syrien haben die Region um die nordsyrische Stadt Manbidsch am Montag zu ihrem vierten autonomen Kanton erklärt. Das ist ein schwerer Schlag für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der seit Monaten versucht, die USA – und später dann auch Russland – dazu zu bringen, ihre Unterstützung für die in der PYD organisierten syrischen Kurden einzustellen.

Ankara sieht in der PYD und ihrem militärischen Arm, der YPG, einen direkten Ableger der türkisch-kurdischen PKK und ist deshalb zunehmend verbittert, dass sowohl die USA als auch Russland die syrischen Kurden unterstützen.

Als die türkische Armee im Sommer letzten Jahres ihre Militärintervention ­„Euphrat Shield“ startete, definierte Erdoğan zwei Ziele für den Einmarsch im Nachbarland. Erstens wollte er den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) von der türkischen Grenze vertreiben, zweitens die kurdische YPG-Miliz wieder aus Manbidsch auf das Gebiet östlich des Euphrats zurückdrängen.

Hoffnung auf Trump

Das sollte verhindern, dass die Kurden ihr Gebiet östlich des Euphrats mit dem westlich gelegenen Kanton Afrin verbinden. Denn damit hätten die Kurden ein zusammenhängendes Territorium entlang der türkischen Grenze geschaffen, das über kurz oder lang zur weitgehend unabhängigen autonomen Region erklärt werden könnte.

Seit 2014 arbeitet jedoch die US-Armee im Kampf gegen den IS mit der YPG erfolgreich zusammen. Entsprechend weigerte sich die Obama-Administration, die PYD-YPG zur Terrororganisation zu erklären und ihre Unterstützung einzustellen, wie Erdoğan wiederholt gefordert hatte.

Auch die Hoffnung auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump ist für Erdoğan bislang nicht in Erfüllung gegangen. Statt die YPG fallen zu lassen und den Sturm auf die IS-Hauptstadt Rakka mit türkischen Truppen vorzubereiten, wie Erdoğan Trump vorgeschlagen hat, hat dieser zugelassen, dass das Pentagon seinen bisherigen Partner weiter aufrüstet und die YPG immer enger mit amerikanischen Spezialtruppen verzahnt.

Aktuell steht die YPG mit US-Soldaten sechs Meilen vor Rakka. Als Gegenleistung für die Unterstützung der Kurden duldet das US-Militär, dass die YPG die von ihr westlich des Eu­phrats eroberte Region Manbidsch weiter kontrolliert. Erdoğan kündigte deshalb großspurig an, die türkische Armee werde gemeinsam mit ihren syrischen Verbündeten von der FSA (Free Syrian Army) die Kurden in Manbidsch auch ohne amerikanische Erlaubnis angreifen. Doch ausgerechnet Wladimir Putin machte Erdoğan einen Strich durch die Rechnung.

Wie die USA spielt auch der russische Präsident schon länger die kurdische Karte. Das Verhältnis der Kurden zu dem von Russland unterstützten syrischen Regime ist ambivalent. Seit Ausbruch des Krieges gibt es eine stillschweigende Übereinkunft, sich nicht anzugreifen, auch wenn Baschar al-Assad eine kurdische Autonomie­zone bislang nicht anerkennt.

Erst Assad, dann die Kurden

Doch Putin drängt Assad, die kurdischen Forderungen zu akzeptieren, um wenigstens im Norden des Landes Ruhe zu haben. Mit einem trickreichen Manöver hat Putin jetzt die Allianz von Assad mit den Kurden gestärkt und Erdoğan ausmanövriert. Auf Drängen der Russen und in Absprache mit den USA erlaubten die Kurden den Assad-Truppen, in sechs Dörfer nahe Manbidsch einzumarschieren und so einen Puffer zwischen den türkischen Truppen und der von den Kurden kontrollierten Region zu bilden.

Erdoğans Vormarsch ist damit vorerst gestoppt. Weder die USA noch Russland gestehen der Türkei mehr Einfluss in Syrien zu. Beide Großmächte akzeptieren die Forderungen der Kurden nach einer autonomen Region. Erdoğan ist somit in Syrien erneut gescheitert. Nachdem er bereits akzeptieren musste, dass Assad an der Macht bleibt, muss er nun auch hinnehmen, dass die Kurden in Syrien eine autonome Region bekommen.