LeserInnenbriefe
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Größte Tabuzone im Patriarchat

betr.: „Debatte statt Hetze“, taz vom 4. 3. 17

Mithu Sanyal hat einen ehrenwerten Versuch gemacht, allerdings hat sie nicht bedacht, dass sie dabei auf die Mine der größten Tabuzone im Patriarchat getreten ist – dass auch Männer Opfer im Patriarchat sind.

Das sollen sie aber niemals sein und das ist das Schlimmste überhaupt. Sie machen daher lieber Frauen zu Opfern, als ihr eigenes Leid zu spüren; das wird eingeübt ab der Pubertät.

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist das Ventil, das „Männer“ nutzen, um die Gewalt weiterzugeben, in einem gedachten „nach unten“, das ihnen anerzogen wird, um ihre „Männlichkeit“ zu beweisen.

Dass sie dafür Ernährer sein sollten/sollen in vielen patriarchalen Gesellschaften, erzeugt daneben auch eine andere Form von Gewalt, die oft genauso zweischneidig ist: In den traditionellen Familien arbeiten sich Männer in dieser Rolle früher zu Tode als die Frauen, denn sie sollen ja nichts spüren.

Nichts spüren vom tabuisierten Opfersein, bei Gefahr des vernichtenden Urteils. Das ist am stärksten ausgeprägt bei den männlichen Opfern sexualisierter Gewalt.

In beiden Fällen half die Erweiterung und Öffnung der gesellschaftlich tradierten Geschlechterrollengrenzen: Männer konnten erst dann genesen, wenn sie ihre Opfererlebnisse aus der Kindheit zulassen konnten statt andere zum Opfer zu machen. Frauen konnten sich erst dann aus der Opferrolle befreien, wenn sie ihre männliche Seite der Aggression zuließen und sich kraftvoll wehrten.

Die rechten Trolle, die Mithu Sanyal bedrohen, zeigen jedenfalls, dass sie eventuell selber Opfer waren und das auf keinen Fall fühlen wollen. Bleib stark, Mithu! Solidarische Grüße

R. L., Berlin

Eine Wunde, die nie verheilt

betr.: „Debatte statt Hetze“, taz vom 4. 3. 17

Ich habe – so wie bestimmt viele andere Überlebende – fast meinen Kaffee wieder ausgespuckt, als ich die These von Frau Sanyal und Frau Albrecht gelesen habe.

Kurz hab ich mich als Oma vor meinen Enkeln sitzend gesehen: „Ach wisst ihr, Kinder, das war eine Zeit, damals als Erlebende von sexualisierter Gewalt …“ Natürlich kann ich nur für mich sprechen und für das, was ich ertragen musste, nämlich jahrelang von meinem eigenen Vater zum Sex gezwungen worden zu sein … Dies verdient aber meiner Meinung nach etwas mehr als die Bezeichnung „Erlebende sexualisierter Gewalt“.

Es ist eine Wunde, die nie verheilt und, ja, als Kind war ich eindeutig ein Opfer. Es ist mir ziemlich egal, ob das für manche ein negativer Begriff sein mag; er stimmt leider nur zu gut. Denn nachdem ich im Erwachsenenalter nach und nach all die grausamen Details meines Martyriums begriff, begann eine Zeit des erneuten Opferseins: Angriffe aus der Familie („Lügnerin“), Ungläubigkeit seitens der Justiz und tyrannischer Behörden. Irgendwann überwindet man das Opfersein und ist Überlebende; und darauf darf man stolz sein!

Ich freue mich auf den Tag, an welchem ich mich selbst als Betroffene bezeichne – warum die Autorinnen diesen Begriff nicht gewählt haben, ist mir absolut unklar. Es gibt nämlich einen Betroffenenrat, der gute Arbeit leistet.

Das Traurige ist dabei doch nur, dass es die geballten Frauenschaften wohl nicht mal hinbekommen, jede Frau sich ihren eigenen Begriff ihres Leidens schaffen zu lassen, sondern auch noch anderen Frauen ein gleiches Schicksal wünschen. Wie sollen wir es damit schaffen, dass sexualisierte Gewalt überhaupt einmal gestoppt wird?

Sorry, meine Damen, aber wer anderen eine Vergewaltigung wünscht, hat nun wirklich gar nichts verstanden …

Name ist der Redaktion bekannt

App StreetChange hilft

betr.: „Hoffnung für Obdachlose“, taz vom 3. 3. 17

Ich finde die App sehr gut und denke; dass sie ausbaufähig ist.

Ich denke, der direkte Weg, also obdachlose Menschen und Spender zusammenzubringen, ist der sinnvollere.

Vor allem ist die Transparenz deutlich besser (was wohin geht), und es ist immer besser, aus erster Quelle zu erfahren, was Menschen bedrückt und was sie benötigen, als von jenen (Freie Träger, kommunale Verwaltungen, Politik insgesamt), die sich anmaßen, zu wissen, was diese Menschen brauchen.

JÜRGEN HELTEN, Köln

Grünes Grundeinkommen?

betr.: „Brauchen wir die Grünen noch?“ taz vom 3. 3. 17

Brauchen wir die Grünen noch? Ich meine: Ja! Ich würde mich zum angesprochenen Kern zählen, der sich aufgrund der zunehmenden Blässe der Grünen tendenziell abwendet.

Dabei liegen die Themen quasi auf der Straße, wenn man sich fragt, wo unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten menschlich Fortschritte, wo mehr Rückschritte gemacht hat. Ein Thema wäre – und davor scheinen sich die Grünen zu fürchten wie das Kaninchen vor der Schlange – das „bedingungslose Grundeinkommen“.

Hier schlummert ein menschliches Fortschrittspotenzial, das, richtig angegangen, sich zu einer ungeahnten gesellschaftlichen Innovation entfalten könnte. Eine deutliche und glaubwürdige Absichtserklärung, sich interessiert forschend in diese Richtung zu bewegen, würde sicher nicht nur für mich die Grünen wieder wählbar machen. RAINER PAWEL, Darmstadt