Europapolitik – nicht ohne Türkei

DEUTSCHLAND Eigentlich geht es bei der Regierungserklärung Merkels am Donnerstag um die EU. Aber: Wie umgehen mit Erdogan?

BERLIN taz | Am Donnerstag um 9.40 Uhr hat Bundestagspräsident Norbert Lammert drei Abgeordnete aus dem Plenarsaal geworfen. Der Grund: Die Grünen waren nach der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin aufgestanden, auf ihren weißen T-Shirts prangte schwarz der Schriftzug #FreeDeniz. Die Saalordnung verbietet Demonstra­tio­nen. Das Ziel, Aufmerksamkeit für den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel, erreichten die drei dennoch.

Eigentlich sollte es an diesem Morgen um die Europapolitik der Bundesregierung gehen. Aber spätestens beim Thema Flüchtlinge musste Angela Merkel auf die Türkei zu sprechen kommen. Die Kanzlerin sprach von „tiefen und ernsthaften Meinungsverschiedenheiten“ zwischen beiden Ländern. Nazi-Vergleiche türkischer Politiker nannte sie „unzumutbar“. Gleichwohl könne es nicht das Interesse der EU sein, „dass die Türkei sich noch weiter von uns entfernt“.

Schwer erträglich

Während der folgenden Debatte kam die Meldung, dass Polen den Brüsseler Gipfel notfalls platzen lassen wolle, um die Wiederwahl des polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk zu verhindern (siehe oben). Eifrig schrieb Merkel nun E-Mails und SMS, während sich am Rednerpult die Fraktionschefs am Thema Türkei abarbeiteten.

Dietmar Bartsch von der Linken warf Merkel vor, sie habe den Despoten Recep Tayyip Er­do­ğan erst stark gemacht. Wenn die Regierung es ernst meine mit ihrer Kritik, müsse sie die Waffenexporte in die Türkei stoppen und die EU-Beitrittsgespräche beenden.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nannte die Situation in der Türkei „bestürzend“. Dennoch, selbst wenn es schwer erträglich sei, türkische Politiker in Deutschland für das autoritäre Präsidialsystem werben zu lassen, plädiere er nicht für Einreise- oder Redeverbote.

Als daraufhin der Linke-Politiker Jan van Aken Oppermann fragte, warum seine Regierung nicht konkret gegen die Türkei vorgehe, erklärte der SPD-Fraktionschef, es gebe „auch gemeinsame Interessen“. Unter Es­ka­la­tio­nen hätten vor allem „die türkischen Menschen in Deutschland zu leiden“. Seit Monaten erlaubt die türkische Regierung es weder van Aken noch anderen Abgeordneten, die in der Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten zu besuchen.

Grünen-Fraktionschef Cem Özdemir forderte einen klaren Kurs gegenüber Erdoğan: „Wir wollen nicht Mitglied in der Türkei werden, sondern die Türkei Mitglied in der EU.“ Da sei es doch mal gut, zu sagen, wer sich wem anpassen solle.

Das hatte ganz am Anfang dieser lebendigen Debatte bereits der Bundestagspräsident erledigt. Unter dem Beifall aller Fraktionen hatte Norbert Lammert klargestellt, dass, wer Deutschland „Nazi-Methoden“ bezichtige, sich selbst disqualifiziere. In diesen „gelegentlich hysterischen Zeiten“ könne sich jeder selbst ein Bild machen, wo Meinungsfreiheit gewährleistet sei. Vierzig Minuten später verwies er drei Abgeordnete des Saals. Anja Maier