Liked mich doch am Arsch!

SOZIALES NETZ Mit Werbung zugekippt, gefangen in einer Filterblase und jetzt auch noch ohne Mitspracherechte – Facebook nervt. Zeit, sich abzumelden?

Mich nervt, dass die Kontrolle über das eigene Profil abhandenkommt – man erhält eine Facebook-Mailadresse, die man nie wollte, und eine Chronik, die man so nie erstellt hätte

VON MAIK SÖHLER

„GRATIS Spiel bei iphone/iPad --> Superspannend!“ steht im Newsfeed auf meiner Facebook-Startseite. Absender: „Candy Crush Saga“.

Sind wir befreundet? Schnell mal nachsehen. Nein. Bin ich ein Fan der Seite? Auch nicht. Wie kommt das dann in den Bereich, der meinen Freunden und Interessen vorbehalten sein soll? Ach so – „empfohlener Beitrag“ samt Link zu irgendeinem App-Gelumpe, jemand hat Geld dafür ausgegeben, in meinem Newsfeed sichtbar zu sein.

Beiträge, auf die ich mich freue, muss ich dagegen mit der Lupe suchen, weil sie zwischen „empfohlenen Beiträgen“ und dem Vielgefacebooke mancher Bekannter untergehen. Fünf Minuten brauche ich, um den neuen Cartoon des New Yorker zu finden. Nach Updates italienischer Anarchisten suche ich vergeblich. Vielleicht weil sie nichts geschrieben haben, vielleicht weil ihre Beiträge von Facebooks Filter Bubble als nachrangig für meine Lesegewohnheiten eingestuft wurden. Mir fehlt die Zeit, das zu überprüfen.

Denn allein 14 Minuten hat es jetzt wieder gekostet, im Startseitenbereich meiner eigenen Facebookseite einen speziellen Beitrag zu finden. Facebook nervt. Es nervt, weil es meine Lebenszeit frisst. Und daran bin ich selbst schuld. Niemand zwingt mich zu einem Facebook-Konto.

Mehr ärgert mich deswegen mein eigener Automatismus, Facebook als wesentlichen Bestandteil meines Nutzerverhaltens im Netz zu begreifen.

Seit Monaten denke ich immer wieder mal darüber nach, Facebook zu verlassen. „Empfohlene Beiträge“, die „Filter Bubble“, Fremdbestimmung, Mängel beim Datenschutz, immer mehr Werbung: Es gibt viele Gründe. Erst recht, nachdem Facebook all seinen Nutzern heute mitgeteilt hat, Abstimmungen über wichtige Änderungen im Regelwerk werde es künftig nicht mehr geben. Zu unübersichtlich, bei mehr als einer Milliarde Nutzer.

Aber gibt es ein „Draußen“?

Eine Welt also, in der man auf die Annehmlichkeiten von Facebook – kleine Botschaften, schnelle Kontaktaufnahme zu Bekannten, Einladungen zu Partys und Lesungen, Erinnerungen an Geburtstage – verzichten kann, ohne selbst mehr Aufwand zu haben?

Ja, sagt Christian Heller, Blogger und Netzkulturforscher, es gibt ein Draußen. Er hat vor einiger Zeit sein Facebook-Profil gelöscht und vermisst das Netzwerk kaum – „höchstens bei ein paar Party-Einladungen“. Facebook ordne die Kommunikation der Nutzer den eigenen Netzwerkinteressen unter, sagt er. „Momentan besteht für mich kein Grund zur Rückkehr.“

Klare Worte, die mich beschämen: Auf der Suche nach seiner Telefonnummer wollte ich – Hirn aus, Facebook an – zuerst im Netzwerk selbst nachsehen.

Tina Kulow, Facebook-Sprecherin für Deutschland, kann Hellers Kritik nicht nachvollziehen: „Wir bekommen in dieser Richtung kein Feedback.“ Den Vorwurf, Beiträge zu filtern, kontert sie: Es bleibe auf Facebook immer „genug Raum für überraschende Dinge“.

Mich nervt aber vor allem, dass einem bei Facebook die Kontrolle über das eigene Profil abhandenkommt. Man bekommt automatisch eine Facebook-Mailadresse, die man nie gewollt hat, eine Chronik, die man so nie erstellt hätte, und soll, um im Mainstream nicht zu ersaufen, Listen erstellen, „Freunde“ sortieren.

Allem Hin und Her zum Trotz habe ich mich jetzt entschieden: Ich werde bei Facebook bleiben. Und das allein wegen meiner Mutter. Seit Jahren liegen ihr Nichten und Neffen in den Ohren, endlich auch zu facebooken. Irgendwann 2011 ist sie dann heimlich, still und leise beigetreten. Ich war ganz baff, als mich plötzlich ihre „Freundschaftsanfrage“ erreichte.

Baff und entsetzt: Würde ich künftig Facebook noch so nutzen können wie bisher? Müsste ich mir abfällige Kommentare über mein Heimatdorf nun verkneifen? Genau an diesem Tag habe ich zum ersten Mal darüber nachgedacht, Facebook zu verlassen.

Nichts davon ist passiert. Meine Mutter ist immer noch auf Facebook. Sie schreibt nichts, kommentiert nichts, hebt ganz selten mal den Daumen. Da kann ich sie jetzt doch nicht alleinlassen – mit der „Filter Bubble“, der von ihr nicht genutzten Chronik und den Versprechen der „Candy Crush Saga“: „GRATIS Spiel bei iphone/iPad --> Superspannend!“