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Unser Autor wandelt dichterisch durch den Alltag. Seine ausgefeilten Sätze sind Perlen vor die SäueLaberzuschlag: 40 Cent

Liebling der Massen vonUli Hannemann

Auf meinem Winterspaziergang entdecke ich in der Seitenstraße einen kleinen Biobäcker und bekomme sofort Hunger. Im Laden beschlägt meine Brille und ich muss sie erst putzen, bevor ich das Angebot sichten kann. Trotzdem werde ich vorschnell nach meinem Wunsch gefragt.

„Gemach“, bremse ich den Eifer der Angestellten. „Ich muss hier zunächst mal meine Sehhilfe in Ordnung bringen, um dann auf Basis der frisch gewonnenen Sinneseindrücke meine Kaufentscheidung zu treffen.“ Ich gefalle mir sehr in dieser elaborierten Formulierung. Das habe ich schön gesagt. Ein Satz wie ein Spiegel, in dem ich mich, wieder und wieder um die eigene Achse drehend, selbstverliebt begaffe. Ich bin ein großer Dichter, immer im Dienst. Jedes einzelne Wort, das ich von mir gebe, und beschriebe es den banalsten Gegenstand, ist ein beherzter Kniefall vor der deutschen Sprache.

Diesen Satz lege ich nun als Geschenk der Bäckereifachverkäuferin zu Füßen. Damit will ich originell und witzig sein, vielleicht verbirgt sich sogar noch eine Art verstockter Greisenflirt dahinter.

Sie reagiert allerdings schmallippig. Das waren wohl Perlen vor die Säue. Jeder andere hätte ihr ein ohnehin weit eher angebrachtes „Mal langsam, du siehst doch, dass ich nichts sehe, du Punze“ entgegengeschleudert, wo ich ihr eine Girlande aus bunten Buchstaben um den Moment gewunden habe, um diesen so für sie auf ewig unvergesslich zu machen und ihren Alltag in einen nie für möglich gehaltenen Glanz zu tauchen: den Glanz der Poesie.

Aber nein. Sie gibt sich keine Mühe, ihren Unmut zu verbergen. Und noch genervter wirkt sie, als ich einen Muffin bestelle, „ein Muffin, bitte“, und das so ausspreche wie die „Mumins“ mit Betonung auf der letzten Silbe. Im Muffintal, höhö.

Von Begeisterung keine Spur. Ich muss an Q. denken. Die gerät jedes Mal in Rage, wenn sie Zeugin einer solchen Szene wird. Aber komischerweise nicht über die vermaledeiten Kleingeister, sondern über mich. Es kann durchaus passieren, dass sie mir dann einen Vortrag hält.

„Die Leute müssen hier arbeiten und haben keinen Bock auf das prätentiöse Geseier wildfremder Kunden. Deine ‚Ironie‘“ – sie malt mit vier Fingern Anführungszeichen in die Luft – „kannst du dir da echt sparen. Und sowieso und vor allem“ – sie macht eine bedeutsame Pause – „ist das leider alles null witzig. Dabei schreibst du doch eigentlich ganz lustige Sachen. Also manchmal. Aber mit dem Sprechen, nee wirklich, ich bitte dich, halt die Fresse und schreib! Dann ist alles gut.“

„Zwei Euro“, sagt die Verkäuferin. Ich zahle stumm, obwohl auf dem Schild ein Euro sechzig steht. Wahrscheinlich Laberzuschlag. Oder Pfand für diese Papierkrempe um den Muffinfuß rum. Krempenpfand. Ich muss mir auf die Zunge beißen, um diesen überaus witzigen Einfall nicht auf der Stelle an die Adressatin zu bringen. Auf dass ihr Tag noch mehr erstrahle.

Auf dem Uferweg esse ich im Gehen den Muffin. Leider klebt die Krempe total am Teig. Sie geht überhaupt nicht ab, sodass ich kurz rätsele, ob die vielleicht Esspapier verwendet haben. Nein, haben sie nicht. Das ärgert mich. Ich spiele mit dem Gedanken, umzukehren und das Gebäck zu retournieren. Ihr Altpapier können sie selber fressen.

Bestimmt würde sich die Verkäuferin freuen. „Heißa“, wird sie denken, wenn sie mich bereits draußen vor dem Laden erspäht. „Heißa: da kommt wieder dieser witzige und kluge Mann. Ich werd verrückt vor Freude!“

Und ich werde sie nicht enttäuschen. „Gnädige Frau. Ich bedaure außerordentlich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sich Ihr Muffin bei der Feuerprobe seines Verzehrs als ausgesprochen schadhaft erwiesen hat.“ Das wird sicher sehr schön. Beschwingt beschleunige ich meinen Schritt.

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