Stadt der krummen Lebenswege

„PUPPE, ICKE & DER DICKE“

Skurrile, ja groteske Gestalten auf dem Weg nach Berlin

Es gibt viele Berlinfilme, in denen allerlei Pappkulissen vorkommen – zuletzt etwa „Russendisko“. Sie versuchen, so realistisch wie möglich nachzubauen, was sie als besonders empfinden an der Stadt, und scheitern damit fatal. Und dann gibt es wenige andere, die sich gar nicht erst abgeben mit typischen Stadtansichten, die aber trotzdem auf märchenhafte Weise und mit den Mitteln der Überzeichnung ein Stück Berlin einfangen, wie man es wahrer noch nie gesehen hat. Zu diesen gehört der Film mit dem allerdings blöden Titel „Puppe, Icke & der Dicke“, der diese Woche in den Kinos angelaufen ist – ein bereits preisgekrönter Debütfilm des jungen Berliner Regisseurs Felix Stientz.

„Puppe, Icke & der Dicke“ erzählt in Polaroidfarben und mit wunderbarer Filmmusik von einem gerade arbeitslos gewordenen Kurierfahrer, dessen Berliner Schnauze so riesig ist, weil er mit seiner Kleinwüchsigkeit zu kämpfen hat. Dennoch schafft er es, sich für einen völlig normalen Berliner zu halten, der alles Recht der Welt hat, in einem fort über dieses „räudige Künstlerpack“ zu kottern, das die Stadt mit zunehmender Selbstverständlichkeit besetzt. Auch in seiner schäbigen Parterrewohnung haben sich Menschen von irgendwoher breitgemacht und funktionieren die Bude kurzerhand in einen Rockschuppen um. Aber da macht sich der Kleine mit dem treffenden Namen Bomber schon auf den Weg nach Paris, um seine letzte Fuhre als Kurierfahrer auf eigene Faust zu verticken.

Auf dem Weg dorthin und zurück begegnet Bomber ausschließlich skurrilen, ja grotesken Gestalten, wie er selbst eine ist – unter anderen einer schönen Musikerin, die null singen kann, einer Blinden und einem dicken Stummen. Und die Wege aller führen, wenn auch aus den unterschiedlichsten Gründen, nach Berlin. Irgendwann sagt Bomber einmal: „Du kannst nüscht, du machst nüscht, also fährste nach Berlin“, aber da hat es ihn schon längst erwischt. Er hat begriffen, dass er nicht der letzte „normale“ Berliner ist, sondern selbst ein Freak. Und als die Blinde ihn, den Lahmen, am Ende in seine eigene Wohnung führt, da ist längst klar: Berlin wird noch lange Stadt der Loser, Dilettanten und all jener bleiben, deren Lebenswege schön krumm sind. Dieses Bild ist einfach zu stark. Es ist so charmant, dass nicht einmal all die neuen, zielstrebigen Geldverdiener es werden stürzen können, die angeblich gerade die Stadt fluten.

SUSANNE MESSMER