War es ein goldener Mercedes oder ein BMW, mit dem die berühmte Soziologin zu spät kam? Die Berlinale wird immer wieder zu einer Erinnerungsmaschine
: Alles scheint gut zu werden

Draußen im Kino

vonDetlef Kuhlbrodt

Gegen Halbzeit der Berlinale beginnt man, sich langsam daran zu gewöhnen, und steht ohne Karte, aber mit Wartemarke im Kino International. Ich hatte den netten Mitarbeiter gefragt, ob es wahrscheinlich sei, dass ich noch reinkommen würde; er hatte geantwortet: Kein Problem.

Der Betreiber eines Bremer Kinos, in dem ich vor zwanzig Jahren einen Vortrag über „Matrix“ gehalten hatte, steht neben mir. Ich erinnere mich, wie ich eine Stunde zu spät in Bremen angekommen war, weil eine Schafherde den Zugverkehr behindert hatte. Die zu früh gestorbene feministische Soziologin Gerburg Treusch-Dieter war auch zu spät gekommen. Ich denke an ihren goldenen Mercedes; er erinnert sich an einen goldenen BMW.

Er sagt, er könne mit Techno nichts anfangen. Ich hatte in den 1990ern eigentlich nur Techno gehört und an die gesellschaftsverbessernde Wirkung von Drogen geglaubt. Romuald Karmakas Techno-Dokumentation »Denk ich an Deutschland in der Nacht« ist ganz okay. Die Musik eher eingängig. Die Geräte im Tonstudio des Berliner Techno-Superstars Ricardo Villalobos sind imposant. Villalobos redet über „die Wertegemeinschaft einer Party“, in der die atomisierten und entfremdeten Partygänger aufgefangen sind o. Ä. Später steht er mit anderen Protagonisten des Films in einer Art Harlekinkostüm auf der Bühne.

Auf den neuen Film von Sabu im Wettbewerb hatte ich mich am meisten gefreut. Ich bin ein großer Fan seiner Filme, die seit zwanzig Jahren in unterschiedlichen Sektionen der Berlinale gezeigt wurden. „Monday“, 2000, gehört zu meinen schönsten Kinoerinnerungen. Oder wie Sabu 2003, vor der Aufführung von „The Blessing Bell“, dem Publikum des Delphi-Filmpalastes gesagt hatte: „Ihr kennt mich schon gut, denke ich. Ich bin Sabu, der geniale Regisseur. Der Film, den ihr jetzt sehen werdet, ist etwas anders als meine bisherigen Filme, aber trotzdem wieder ein Meisterwerk.“

Als Fan fühlt man sich mitgeehrt

Es ist so schön, nachts im Berlinale-Palast zu sitzen und zu sehen, wie Sabu vom Festivalleiter begrüßt wird, wie er dann sofort zu Ulrich und Erika Gregor geht und ihnen die Hand gibt. Als Fan fühlt man sich mitgeehrt sozusagen; Sabu und seine Filme sind wie Freunde, die, obgleich sie einen nicht kennen, aber wohl wissen, dass die Begegnung mit ihnen einem unterschiedlich getönte Folien liefert, durch die man auf sein eigenes Leben und die Welt schaut.

Die ersten Minuten von „Mr. Long“, die in Taiwan spielen, ist man so gebannt wie bei den Hongkong-Filmen von Johnny To. „Mr. Long“ beginnt also wie ein Yakuza-Film und wird dann langsamer. Eben hatte der Held, ein Auftragskiller aus Taiwan, noch acht Leute umgebracht. Sein nächster Auftrag in Japan geht schief. Schwer verletzt und ohne Pass findet er sich in einem verlassenen Viertel einer Kleinstadt wieder, trifft einen kleinen Jungen und dessen drogensüchtige Mutter. Der Junge hilft ihm, bringt Verbandszeug, Kleidung und Porree. Aus einfachsten Zutaten bereitet der meist schweigende Killer (er spricht kein Japanisch) schmackhafte Suppen und hilft der Mutter beim Drogenentzug.

Alles scheint gut zu werden, bis die Gangster von früher auftauchen. Wem „Chasuke’s Journey“ (2015), zu schön schien, wird von „Mr. Long“ begeistert sein. Von den Bildern, den Tempowechseln, den nichtlinearen Passagen, dem Mut zur ausführlichen Erzählung; von der Tonspur, den Schauspielern; der Komik auch. Glücklich gehe ich nach Hause. Aus dem genialen jungen Regisseur ist ein Meister geworden.