Rasend ins Nichts

Ocean-Drums im Surround-System. Ohrpilot macht mit „poe:lyphonie 2“ das Münsteraner Pumpenhaus zur beeindruckenden Hörkunstbühne

AUS MÜNSTERMARCUS TERMEER

Sich lösen von Bekanntem in Inhalt und Form. Das charakterisiert „poe:lyphonie 2-M.S. Found in a Bottle“, die neue Produktion des Musiktheaters Ohrpilot (Berlin/Münster) im Pumpenhaus in Münster. „Eine neue Entität hat sich meiner Seele angegliedert“, sagt der Ich-Erzähler.

Da ist die Erzählung von Edgar Allan Poe in der Übertragung von Arno Schmidt, in der ein „Ich“ auf einer rasenden Schiff-Fahrt ins Nichts den Tod als Grauen und zugleich als physische Erleichterung erfährt. Zum anderen ist da der Anspruch von Ohrpilot in Zeiten „visueller Gewalt“ in den Medien mittels Live- Klangkunsträumen „einzuladen, sich selbst wieder Bilder zu machen“, so Regisseur Andreas Tiedemann. Vergleichbares ist ihnen zuvor mit “poe:lyphonie 1“ beim Hörkunstfestival in Erlangen und mit dem „gullyRadio“ in der Münsteraner City gelungen.

Das Publikum harrt auf einer Liegelandschaft mitten im Bühnenraum und befindet sich damit im Auge eines Orkans. Darüber hinaus erzeugt eine überdimensionale Ocean-Drum Brandungs- und Strudelgeräusche. Soviel Visuelles muss sein. Im durchscheinenden bläulichen Licht bildet eine amorphe Masse von Kügelchen immer neue Formationen von Inselgruppen, Fischschwärmen und Blutlachen. Drei Monochorde, bis zu acht Meter lange Stahlseile, vervollständigen die akustische „Ozeanmalerei“ (Komposition: Christoph Jilo) im Surround-System um die ZuhörerInnen. Mit Bass-Bögen gestrichen, gezupft, geklöppelt, werden die Töne über E-Bass-Tonabnehmer und ein veritables Geophon verfremdet. Was nebenbei eine gelungene Konversion darstellt, handelt es sich doch um ein Gerät, mit dem im kalten Krieg russische Panzer an der DDR-Grenze aufgespürt wurden.

Der nahe liegenden Gefahr, dass bei einem Autor wie Poe längst tradierte Schauer- und Abenteuer-Klischeebilder aktiviert werden könnten, entgeht „poe:lyphonie 2“ konsequent mit den Mitteln der Verfremdung und musikalischen Aneignung. Das Handlungsgerüst verliest eine Nachrichtensprecherin (sehr Tagesschau: Laura Cisneros) vom Band. Als Ich-Erzähler agiert der renommierte Hörspiel- und Fernsehsprecher Christian Gaul. Hier wird der Text zur Partitur und immer wieder in seinen Rhythmus aufgelöst. Silben und Vokale werden im Zusammenspiel mit den Instrumenten zu Lautmalereien der Wahrnehmungen des „Ichs“ auf dem Weg in ein „Geheimnis“, dessen Ergründen Zerstörung bedeutet.

20:00 Uhr, Pumpenhaus, MünsterInfos: 0251-233443