Mückenplage juckt RWE-Power nicht

Milliarden Mücken belagern eine Siedlung im rheinischen Bergheim. Schuld daran soll angeblich das RWE sein. Aber es scheint, als wäre noch etwas anderes für die Mücken-Schwärme verantwortlich: die gute Wasserqualität der Erft

BERGHEIM taz ■ „Unsere Terrasse ist voller Leichen“, sagt Gerhard Obladen mit ruhiger Stimme. Als der 51-Jährige vor einem Jahr hier hin gezogen ist, nach Bergheim, in den Stadtteil Kenten, wusste er nicht, was da auf ihn zukommt. „Der Vorbesitzer des Hauses hat es nicht verschwiegen“, sagt Obladen. Aber dass es so viele Zuckmücken sein würden, Milliarden fast, die um sein Anwesen schwirren, damit hatte er nicht gerechnet.

Die Siedlung, in der Obladen nun Hausbesitzer ist, liegt nah an der Erft. Der Fluss entspringt im Norden der Eifel und schlängelt sich dann rund 100 Kilometer durchs Land, bis er endlich bei Neuss in den Rhein mündet. Dass Mücken Flüsse und Seen als Brutstätte bevorzugen, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Nur sind es in Bergheim eben ungewöhnlich viele. Und einen Verursacher für das „widerliche Naturschauspiel“, wie Obladen es nennt, hat der 51-Jährige auch schon gefunden: das RWE. Der Energieversorger leitet in der Nähe der Siedlung so genanntes Sümpfungswasser in die Erft – rund 4.000 Liter in der Sekunde. Das Wasser stammt aus dem Tagebau Hambach in Jülich, wo es aus bis zu 400 Meter Tiefe abgeführt und in die Erft gepumpt wird. Wenn es dort ankommt, ist es immer noch etwa 24 Grad warm. Dadurch, sagen die Anwohner der Siedlung, werde die drastische Vermehrung der Mücken begünstigt.

Das RWE wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Dass es nur an unserem Wasser liegt, ist zu einfach“, sagt Jürgen Minning, Gewässerschutz-Beauftragter bei RWE-Power. Das RWE habe mehrere Einleitstellen in Bergheim, aber nur an einer einzigen sei es zu dieser Mückenplage gekommen. „Außerdem brauchen Zuckmücken eine sehr gute Wasserqualität“, sagt Minning. Das hohe Aufkommen sei also ein Indikator dafür, „dass dort alles in Ordnung ist“.

Udo Rose, Biologe beim für die Wasserüberwachung zuständigen Erftverband, sieht das ähnlich: Die Wasserqualität der Erft habe sich kontinuierlich verbessert, außerdem werde das Sümpfungswasser mit Sauerstoff angereichert und sei nicht mehr so eisenhaltig. Also eigentlich alles perfekt? Ja und Nein. Die Plage von Bergheim ist ein zweischneidiges Schwert für Umweltschützer: Einerseits steigt die Qualität des Erft-Wassers, was erfreulich ist. Andererseits wird dadurch Ungeziefer angelockt.

Der Erftverband hat in den vergangenen Wochen verschiedene Methoden ausprobiert, die Mücken-Population zu begrenzen: 20.000 Fische wurden auf die Mückenlarven gehetzt, Wasserpflanzen gemäht, die umliegenden Wiesen gestutzt. Gebracht hat es nichts. Nun grübeln die Experten, wie sie Herr über die Mücken werden können. Vielleicht mit Chemie? Oder einfach nichts tun? Letzteres könnte klappen: Als sich vor 15, 20 Jahren die Wasserqualität des Rheins verbesserte, würden die Mücken auch immer mehr. Mit den Jahren aber habe die Natur ihr Gleichgewicht ganz alleine wieder hergestellt, erzählt Biologe Rose. Und so könnte es auch in Bergheim funktionieren. Man müsse dafür aber fünf bis sechs Jahre einrechnen, so Rose.

Das wäre vielen Anwohnern zu lange. Obladen sagt, dass er wegziehen würde, wenn sich die Lage nicht verbessert. Obwohl Zuckmücken nichts weiter tun, als durch die Gegend zu surren. Oder wie es Minning vom RWE mit einer ordentlichen Portion rheinischen Dialekts ausdrückt: „Die sind zwar lästig – aber die picken nicht.“ Und im bald einbrechenden Winter verschwinden sie ja auch wieder. Die Grillabende aber, die sie im Sommer wegen der Mücken haben sausen lassen, werden die Anwohner dann wohl nicht nachholen.

BORIS R. ROSENKRANZ