Viel Schlick & viel Segen

Seit 20 Jahren steht das schleswig-holsteinische Wattenmeer unter Schutz. taz nord gratuliert dem Nationalpark mit einem Bilanz-Besuch und sechs subjektiven Erinnerungen

von Esther Geißlinger

Es ist einer dieser strahlenden Herbsttage, die noch Sommer vortäuschen: Die Sonne scheint, der Blick geht bis zum Horizont, in der Ferne erhebt sich der Leuchtturm von Westerhever, der aus der Bierwerbung: keine Meetings, kein Stress.

Von wegen: Je schöner das Wetter, desto mehr Gäste, und die Schafe wagen sich weit in die Salzwiesen hinaus. Fast 100.000 Menschen laufen pro Jahr über die schmalen Wege des Vorlandes bei Westerhever auf der Halbinsel Eiderstedt, die Hälfte davon wandert im Sommer zur Sandbank hinaus, einer der wenigen Plätze der Nordseeküste, an denen man auch bei Ebbe baden kann.

„Das ist eine Gemengelage, die man regeln muss“, sagt Detlef Hansen, Mitarbeiter des Nationalparkamtes. Denn das weite Vorland steht unter striktem Naturschutz, es ist Teil des Nationalparks Wattenmeer, eines 441.000 Hektar umfassenden Streifens entlang der Nordseeküste. Ein großer Teil dieses Gebietes, 130.000 Hektar, liegt im Wattenmeer, der Rest an Land sind Sandbänke und vor allem Salzwiesen jenseits der Deiche. Von Menschenhand geschaffenes Land, aufgespült in vielen Jahrhunderten. Von Menschen genutztes Land: Früher wurden dort Seehunde gejagt, noch heute lassen Bauern ihre Schafe dort weiden, und Touristen kommen zum Baden oder Rad fahren. Und das alles in einer der wenigen unberührten Landschaften, die es in Mitteleuropa noch gibt, in einem Gebiet, das dicht besiedelt ist mit Kleinstlebewesen, Vögeln, Schalentieren, Säugern: „Das Ökosystem ist bis zu den Räubern wie Seehunden, Kegelrobben und Schweinswalen am oberen Ende komplett“, sagt Helmut Grimm, Leiter des Landesamtes für den Nationalpark. „An Land gibt es das nicht mehr.“

Vor 20 Jahren wurde die Küstenregion unter Schutz gestellt, und es war ein harter Kampf. Bauern, Fischer, Jäger, Küstenschützer, Militärs, Touristiker – alle fanden ihre Belange deutlich wichtiger als ein paar Krabben und Piepmätze. Hansen erinnert sich an eine Versammlung im Jahr 1988: „1.000 Jäger in der Husumer Kongresshalle – ich war froh, dass ich heil wieder rauskam.“ Inzwischen hat sich das Bild gewandelt: „20 Jahre Nationalpark – 20 Jahre Erfolgsgeschichte“, fasst Amtsleiter Grimm zusammen.

Das Militär, das früher Tiefflüge über dem Watt übte und Munition in der Hemmingstedter Bucht testete, hat sich aus der Region weitgehend zurückgezogen. Mit dem Küstenschutz hat der Naturschutz sich geeinigt: Ein Streifen von 150 Meter vor den Deichen wird weiter von Schafen kurz gehalten und bewirtschaftet – falls ein Damm brechen sollte, muss kurzes Salzwiesengras vorhanden sein, um die Löcher mit Soden zu stopfen.

Das freut auch die Bauern, die weiter ihre Schafe laufen lassen dürfen. Die Jäger haben eingesehen, das sie auf Nonnengänse und Knuts nicht feuern dürfen, und das macht die Gastwirte und Hoteliers froh: Veranstaltungen wie die „Ringelganstage“ auf der Hallig Hooge sind nur möglich, weil die Tiere keine Angst mehr vor den Menschen haben und Besucher an sich herankommen lassen. Mit dem Logo „Nationalpark“ lässt sich gut werben. Nach einer Umfrage kommen bereits 14 Prozent aller Gäste der schleswig-holsteinischen Westküste wegen des Parks – das macht im Jahr stattliche 260.000 Übernachtungen aus und hat 260 Vollzeitarbeitsplätze im Tourismus geschaffen. Das „Multimar Wattforum“ in Tönning, ein Erlebnismuseum mit Aquarien und Labors für Schüler, zieht jährlich 220.000 Besucher – trägt sich allerdings finanziell nicht selbst, wie Christian Jessen, Chef der Nationalpark-Service GmbH, zugeben muss. Aber schließlich soll der Park nicht nur die Natur erhalten, sondern auch über sie informieren, eine Naturschule sein.

Das geht am besten draußen, etwa auf den Salzwiesen. Die sind für die meisten Menschen „eine golfrasenkurze Angelegenheit“, weiß Hansen, und zeigt stolz auf ein eingezäuntes Feld neben dem Weg zum Westerhever Leuchtturm: Dort wachsen Pflanzen kniehoch, Blüten wiegen sich im Wind – obwohl die See dieses Stück Land bei jedem starken Wind überflutet. So sehen Salzwiesen aus ohne die Schafe, die sie kurz halten.

Heute ist knapp die Hälfte der Salzwiesen im Nationalpark der Natur überlassen, immerhin 38 Prozent aller Salzwiesen entlang der Küste. Und das ist gut so, findet Grimm: In Zukunft geht es vor allem darum, das Erreichte zu bewahren und den Park nur vorsichtig weiterzuentwickeln: „Die größten Klopper sind geschafft.“