Wie aus lau laut wird

OPER Unausgelastetes Publikum: Die eher zahme Regie bei „Eugen Onegin“ sorgt für heftige Resonanz

So viel Buh war lange nicht. Das Publikum steigerte sich derart in seine Ablehnung der Inszenierung von „Eugen Onegin“ hinein, dass dies vor allem zur Selbst-Aussage wurde. Offenbar lechzen die Goetheplatz-Gänger mangels thematischer und motorischer Auslastung nach Anlässen, sich vehement zu etwas verhalten zu können – und stürzen sich mit diesen Bedürfnis sogar auf eine Regisseurin wie Tatjana Gürbaca, deren Tschaikowsky-Umsetzung noch nicht mal sonderlich provokant ist.

Dafür ist das Stück nach dem Stück ein umso spannenderes Pingpong zwischen einer offensiv lachenden Gürbaca und dem buhenden Bürgertum: Offenbar fühlt es sich vom demonstrativem Amüsement der Regisseurin mehr noch als von deren Inszenierung gereizt. Hätte Gürbaca die gleiche Konfrontationslust doch bei der Arbeit gezeigt! Sicher: Sie lässt die tragische Liebesgeschichte aus ländlichen Anfängen im 19. Jahrhundert in Richtung Gegenwart wachsen, Großfürst Gremin mutiert zum Sowjet-General, aus braven Festivitäten wird eine unsittsame Sauna-Sause. Doch aus all’ dem schnitzt sich erst das indignierte Publikum seinen Skandal.

Das zweite Ereignis des Abends heißt Nadine Lehner. Sie singt und spielt die Tatjana mit einer Souveränität, Ausdrucksstärke und stimmlichen Brillanz, dass man prognostizieren muss: Lange ist Lehner nicht mehr in Bremen. Gegen Ende singt auch Onegin. So wie erst der letzte Teil des Librettos die Benennung der Oper nach Onegin rechtfertigt, so fühlt sich auch Juan Orozco offenbar erst nach der Pause motiviert, sängerisch ernsthaft einzusteigen. Zuvor verlässt sich der wuchtige Mann allzu nonchalant auf sein natürliches Stimmvolumen. Doch zu viel Testosteron macht ungeschmeidig, und so hatte Orozcos leicht scheppernde Virilität durchaus Anteil am Misslingen mancher der von Tschaikowsky ohnehin hochkomplex gesetzten Ensemble-Szenen.

Das finale Zusammentreffen der Hauptdarsteller im stimmlichen Höhenflug korrespondiert mit der Ungleichzeitigkeit ihrer Gefühle: Endlich liebt auch Onegin Tatjana, die aber will Gremin die Treue halten. Ist das nun Selbstverleugnung oder Selbstschutz? Gürbaca sieht darin Emanzipation. Das ist intellektuell gewagt – sorgte aber keineswegs für Aufregung. Henning Bleyl