Anarchie unter Bäumen

uraufführung Systemkritik kann diese Inszenierung: „Der Zorn der Wälder“ des jungen Autors Alexander Eisenach in Bonn

Die Geliebte ist desillusioniert, die Ehefrau wütend, der Job Routine: Es läuft nicht gut für den Bestattungsunternehmer Carson. Wahrhaftigkeit findet er im Wald – wo bald darauf die Utopie auch wieder endet. So ungefähr geht die Handlung von „Der Zorn der Wälder“, der Auftagsarbeit von Alexander Eisenach für das Theater Bonn.

Inszeniert wird dies von Marco Štorman als schummriger Fiftiesfilm: Emma (Lara Waldow) engagiert Privatdetektiv Gordon Pritchet (Manuel Zschunke), um ihren Ehemann (Daniel Breitfelder) zu finden. Und unterwegs wird auf interessante Weise jedes Klischee bedient, an dem sich gesellschaftliche Zersetzung festmachen lässt: Am Anfang steht die minimalste Alltagsflucht, der Ehebruch, der sich besonders anfühlt und dabei frustrierend banal bleibt. Die gekränkte Eitelkeit einer Ehefrau, die sie sich als verletztes Ehrgefühl schönredet, um den Gatten fortan zu bespitzeln. Mit der Wildheit eines freigelassenen Tieres tobt unterdessen der überforderte Ehemann durch den Forst und vergräbt symbolisch Feinripp-Unterhosen, jene zivilisatorische Errungenschaft, die er zur Sicherheit gleich dreifach übereinander getragen hatte. Schicht für Schicht, Rolle für Rolle wirft er von sich, besudelt sich im Rausch mit Blut, Regen und Torf. Ein Kerl macht sich nackig. Und jetzt?

Jetzt beginnt, noch im ersten Drittel des Stückes, der immanente Dialog mit dem Publikum. Was kommt denn nach der totalen Negierung, nach der Weigerung, Systemimmanentes anzunehmen? Was folgt denn etwa auf ein Nein zur europäischen Gesellschaft? Ein Mehrheitsvotum für den Brexit vielleicht. Und dann? Oder: Was passiert, wenn ein amerikanischer Berlusconi ins Weiße Haus einzieht – als Ergebnis einer demokratischen Wahl – und offensichtlich wird, dass er auf einem halben Kontinent mehr Schaden anrichten kann, als es sein europäischer Geistesbruder konnte? Ein Pussymarsch passiert, nein, viele. Das Individuum entdeckt den Charme der Masse neu.

Diese Bezugnahme zur Aktualität läuft im Kopf des Zuschauers ab, ganz automatisch, während auf der Bühne mit beeindruckender Konsequenz eine gesellschaftliche Grundfrage durchgespielt wird: Was passiert, wenn individuelles Verhalten, gemeinschaftlich erzeugtes Ergebnis und kulturelle Strategie, damit nun fertig zu werden, nicht mehr zusammenpassen? Das Volk also wählt Brexit, stimmt für Trump – and here we go! Auch wenn dies vielleicht nicht das individuelle Ziel war.

Den Pussyhut aufhaben

Der Einzelne war doch nur sauer, trotzig, gestattete sich eine kleine Utopie als Porno fürs Gehirn, eine temporäre anarchistische Pose vielleicht. Und nun muss dieses vereinzelte, in Selbstlügen erfahrene Geschöpf auch noch mit der neuen sozialen Realität klarkommen. Es protestiert. Und setzt sich vielleicht einen Pussyhut auf, um zu zeigen, dass es Teil ist einer Elite, die alles verstanden hat – aber jedenfalls nicht: alleine.

Diese Form der Anarchie hat viele Gesichter, nicht nur junge – hier allerdings schon. Um die dreißig ist die Truppe, nicht im Schnitt, sondern jeder, Spieler, Autor und Regisseur, alle folglich geprägt von 68er-Lehrern, Globalisierung und unbegrenzten Wahlmöglichkeiten des Wohnorts. Štorman realisierte Projekte in Deutschland, Australien und Japan, assistierte Schlingensief und inszenierte Jelinek. Eisenach, fünf Jahre vor dem Mauerfall in Ostberlin geboren, arbeitete in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Die Biografien der Schauspieler zeigen weitere Gemeinsamkeiten, etwa Leipzig als Lernstation, Ort der Montagsdemonstrationen, oder München, die Heimat von Bussi-Bussi und Studentenunruhen, von Rossini und Revolte.

Systemkritik kann diese Inszenierung folglich, vielschichtig und überzeugend: Der Rückzug in die Natur erweist sich als zwingend, aber verlogen, die illusionsgetriebene Kommune als verloren, die Utopie als selbstvernichtend. Natürlich kommt die Waldgemeinschaft selbst drauf, dass ihre Robin-Hood-Romantik ebenso System hat, ähnlich elitär und bieder ist wie die Gesellschaft, der man großspurig den Rücken gekehrt hat.

Am Ende des Abends ist der sittentreue Detektiv dann tot, die betrogene Gattin seltsam befriedet, die Geliebte entzaubert, der wankelmütige Ehemann erneut überfordert von der Gesamtsituation – und das Publikum nachdenklich, in Anbetracht der Weltlage. Was für eine Bilanz. Was für eine Show!

Johanna Schmeller