Wie wollen wir leben?

VISIONEN Der Architekt Friedrich von Borries ist neuer Kurator für Design am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Dort plant er die Schau „Klimakapseln“ über das Wohnen nach der Erderwärmung

„Was tun wir, wenn unsere Vermeidungsstrategien scheitern?“

Friedrich von Borries, Kurator

Die gängigen Vorurteile gegen Designer lassen ihn kalt. Dass Designer nur oberflächlich gestalten – „das entspricht nicht meinen Vorstellungen“, sagt Friedrich von Borries. Er ist seit Oktober Kurator für Design am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe – und Professor für Designtheorie an der Hamburger Kunsthochschule. „Solches Oberflächen-Design würde ich eher Styling nennen.“

Der Designer, wie von Borries ihn versteht, „erfindet Lebensstile“. „Reflektiert darüber, wie die Gesellschaft leben soll.“ Ein Anspruch, den man eher bei Stadtplanern oder einer Ethik- Kommission vermuten würde, aber die Begriffe haben sich offenbar verschoben: Längst spalten sich die Designer in zwei Fraktionen, die Objektgestalter und die Visionäre. Zu letzteren zählt sich Architekt von Borries: „Mich interessiert nicht die Gestaltung eines Haarföns, sondern die Frage, ob wir ihn in Energie sparenden Zeiten überhaupt brauchen – oder ob wir unsere Haare nicht anders trocknen können.“

Vom Energiesparen im weitesten Sinne soll auch seine erste, für Mai 2010 geplante Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe handeln: „Klimakapseln“ soll sie heißen – ein adrett ökologischer Titel, der ein wenig nach Science-Fiction klingt. Man wolle „menschliches Leben unabhängig von Klimabedingungen erforschen“, so der Werbetext.

Wird es eine engagierte Schau werden? Oder eine resignierte, deren Macher sich schon mal Aufträge für die Zukunft sichern? Der 35-Jährige von Borries sagt, er sehe die Entwicklung durchaus kritisch. „Die Frage ist doch: Was tun wir, wenn unsere Vermeidungsstrategien scheitern?“ Er finde die aktuelle Diskussion „sehr verlogen: Wir sprechen dauernd darüber, wie wir den Klimawandel vermeiden können. Aber wir tun das genaue Gegenteil; siehe Abwrack-Prämie. Wir werden nicht mal die für 2050 vorgesehenen zwei Grad einhalten können.“ Doch das spreche niemand aus.

Dabei, sagt von Borries, gebe es seit langem Modelle für diesen Fall. – Fürs Wohnen in der Hitze? – „Platt gesagt: ja“, sagt von Borries. Die Ausstellung werde einige dieser Konzepte zeigen, die „ganz klar Ein- und Ausschließungsräume bedeuten“. Letztlich also: eine Form von Segregation. „Und dann müssen wir uns fragen, ob wir so leben wollen.“

Dass die Ausstellung dezidiert sozialkritisch wird, sagt er nicht. Aber er verweist auf seine anderen Arbeiten, „die immer gesellschaftlich relevante Fragen aufgreifen“. Etwa die aktuelle Schau über Fernsehtürme im Frankfurter Architekturmuseum. Sie fragt, wie Identität stiftend dieses Fortschrittssymbol heute noch ist. In Dessau eröffnet bald seine Ausstellung „Heimatcontainer“ über jene Kupfer-Fertighäuser, die vor den Nazis fliehende Juden mit nach Palästina nahmen. „Wie kann Heimat entstehen? Lässt sie sich mitnehmen?“ Es ist eine Schau über konkrete Gegenstände, was von Borries sonst nicht so schätzt. Aber eben auch über gesellschaftspolitische Zusammenhänge.

Solchen Zusammenhängen soll sich auch die Schau „Krieg, Gewalt und Gestaltung“ widmen, die von Borries 2011 in Hamburg zeigen will. Visionär wird sie vermutlich nicht. Eher deskriptiv. Vielleicht ist das ja engagiert genug. PS