PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Ab und zu zu den Huzulen

Wir können vieles gleichzeitig erledigen. Man muss nur richtig Gas geben im Leben

Eigentlich bin ich sehr für Geschwindigkeit. Und Menschen, die ihr ganzes Leben vor sich hindösen, kann ich nur schwer ertragen. Da bin ich ganz Sohn deutscher Effektivität: Zackzack und dann das Nächste erledigt.

Meinen Laptop habe ich so eingerichtet, dass eine weibliche Stimme zu jeder vollen Stunde die Uhrzeit durchgibt. Gerade zum Beispiel hat sie gesagt: „It’s eight o’clock“. Das mahnt mich, nicht herumzutrödeln und mein Tagesprogramm – zackzack – zu erledigen. Kolumne schreiben bis maximal 11.20 Uhr, dann Anzug anziehen und ins Staatsministerium nach Stuttgart fahren. Dort um 12.00 Uhr Bekanntgabe des Eckart-Witzigmann-Preisträgers. Mittagessen, Reden anhören, 15.00 Uhr Sohn übernehmen, 16.00 Uhr Gespräch mit Journalistenschülern, dann Abendessen kochen, wieder an den Schreibtisch und Artikel über Indonesien weiterschreiben. Kein besonders stressiger Tag also. Da gibt es schlimmere.

Die „schnelle Nudel“ ist eines meiner Lieblingsgerichte: Kühlschrank auf, Inhalt kurz gescannt und dann aus dem Vorgefundenen in fünfzehn Minuten eine Mahlzeit gezaubert. So sind Rezepte entstanden, die heute noch auf Zetteln unter meinen Freunden herumgereicht werden. Carpe diem – nutze den Tag. Wir haben ja nur die eine Chance.

Beim Autofahren kann man telefonieren und beim Essen die Nachrichten schauen. Wir können vieles gleichzeitig und so habe ich sogar eine Methode entwickelt, mit der rechten Hand mir die Zähne zu putzen, während ich mich gleichzeitig mit der linken rasiere. Das spart zwei bis drei Minuten am Tag, macht im Monat schon eineinhalb Stunden oder in zehn Jahren fast volle acht Tage.

Hektik ist ein böses Wort. Sagen wir Effektivität dazu. Dinge im Eiltempo erledigen, um Zeit zu gewinnen, andere Dinge im Eiltempo erledigen zu können. So klingt es doch besser. Deutsche Paare lieben sich im Durchschnitt zwölf Minuten. Da könnte man sicher auch noch etwas einsparen.

Mein beschleunigtes Leben geht immer ein paar Monate gut, dann passiert es: Die Stimme sagt: „It’s eleven o’clock“, und ich schaue zum Fenster hinaus. Der Kopf ist leer, ich blättere lustlos in der Bunten, denke, dass die ganze Welt und ich dazu verrückt geworden sind, fange an aufzuräumen und vergesse an solchen Tagen, meinen Sohn irgendwo abzuholen oder einen versprochenen Artikel abzuliefern.

Dann muss ich für ein paar Tage raus aus dem Hamsterrad und irgendwohin, wo mich keiner kennt, um wieder zu mir zu kommen. Letzte Woche war es wieder so weit. Ich nahm einen Billigflug nach Krakau und setzte mich dort in einen Zug Richtung Karpaten. Nach einem Tag im Bummelzug stieg ich in einem Dorf aus, nahm ein Zimmer bei einem Bauern und lief das Pruth-Tal hinauf. Oben von einer Bergwiese sah man hinunter auf Worochta. Ein Dampfzug überquerte auf einem alten Steinviadukt den Pruth, auf einem Feldweg fuhr ein Bauer mit seinem Pferdefuhrwerk zu seiner Holzhütte. Wie viel Uhr es war? Egal.

Auf dem Gipfel traf ich einen alten Mann, einen Huzulen, wie die Bewohner dieser Region heißen, und er sprach lange mit mir und ich mit ihm. Er auf Ukrainisch, ich auf Schwäbisch. Wir haben uns eine ganze Weile lang gut unterhalten, auch wenn wir kein Wort des anderen verstanden haben. Dann setzte er seinen Rucksack voller Pilze wieder auf und verabschiedete sich.

Abends kochte die Bäuerin einen Hackbraten mit Kartoffelbrei, dann legte ich mich ins Zimmer schlafen, wo sonst die Tochter schläft. Viel mehr ist nicht passiert. Einen Tag später fuhr ich mit dem Bummelzug wieder zurück nach Krakau, flog nach Stuttgart und stellte an meinem Computer wieder die Stimme an. Jetzt ist es „ten o’clock“.

Fragen zu den Huzulen? kolumne@taz.de Dienstag: Bernhard Pötter über KINDER