LeserInnenbriefe
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Millionen erleben täglich un-G

betr.: „Vertrauen auf das G-Wort“, 16. 2. 17

Die G(erechtigkeits)-frage ist in erster linie eine soziale frage. Wenn in deutschland 2,6 millionen kinder von armut betroffen sind, also 10 bis 15 Prozent aller kinder, dann ist das ziemlich un-G. Wenn 2,6 millionen menschen zwei jobs ausüben müssen, damit sie über die runden kommen, dann ist das ziemlich un-G. Wenn die rente von millionen rentner*innen das hartz-iv-niveau nicht mehr erreicht, dann ist das ziemlich un-G. Und un-G so weiter. 10 oder 20 millionen, die un-G jeden tag erleben müssen, bei 40 millionen wähler*innen. Das ist kritisch.

Deswegen noch ein paar zusätzliche G-tipps: G-eins: das rentenniveau wieder auf 50 prozent anheben. G-zwei: das arbeitslosengeld wieder auf zwei jahre verlängern. G-drei: die budgets für erziehung und jugendarbeit deutlich erhöhen. Bezahlen müssen wir das alle G-meinsam. So oder so. Entweder mit martin G schulz oder mit einer rechtsradikalen re-un-G-ierung.

BJÖRN WOLF, Offenbach

Geschummelt und denunziert

betr.: „Bio-Siegel außer Kontrolle“, 15. 2. 17

In Äthiopien, dem Ursprungsland des Kaffees, sind Biostandards nicht zu übertreffen. Wildkaffee wird von lokalen Bauern geerntet, an der Luft getrocknet und im Familienbetrieb fermentiert. Natur pur! Von Äthiopien aus fand Kaffee in den letzten Jahrhunderten seine weltweite Verbreitung.

Um heute seinen Weg über die Weltmeere zu finden, müssen immer größere Mengen Kaffee angeboten werden, die, einheitlich verpackt, in den Regalen der Filialketten den Käufern zur Verfügung stehen. Und hier liegt das Problem.

Lokale Bauern schließen sich zu Genossenschaften und Erzeugerverbänden zusammen. Diese werden von verschiedenen Biokontrollstellen zertifiziert. Es ist ein harter Kampf um den Exportmarkt. Es geht um Mengen, Lieferzeit, Qualität und Preis. Da wird geschummelt und denunziert.

Der Biomarkt boomt und verlangt immer größere Mengen. Die Kaffeebauern hoffen auf ein Auskommen. Bei Preisverfall haben sie das nur dann, wenn sie größere Mengen anbieten, oft auf Kosten der Qualität. Der Handel freut sich über ein wachsendes Angebot. Das bedeutet mehr Umsatz und Gewinn.

Man muss verstehen, dass der Biomarkt nur ein kleines, aber lukratives Marktsegment ist. Der Erzeuger, der Kleinbauer, oft Analphabet, ist meist ahnungslos. Der Handel ist nicht an Regulierung interessiert. Die Kontrollstellen sind unterbesetzt und überfordert. Wie soll man auch von Europa aus 27.000 äthiopische Kleinbauern überwachen? So ist auch die Ökoverordnung obsolet. Deshalb sollte der Konsument beim Kauf von Kaffee nicht so sehr auf das Biosiegel achten, sondern auf Fair Trade. Nur damit kann dem Erzeuger von Kaffee ein Preis garantiert werden, mit dem er Qualitätsprodukte liefern kann.

MARK SPOELSTRA, Freinsheim

Enttäuschte Grün-Wähler

betr.: „Beinahe das Letzte“, taz vom 17. 2. 17

Es ist schon bezeichnend, dass grüne Vorstandsmitglieder seit Langem einmal wieder in der taz vorkommen und das bei einem Ortstermin der Billigschiene von Rewe, wo man sich ein Ökolabel geben will. Wenn das so weitergeht, dürfen wir uns nicht wundern, wenn ein Herr Schulz die Grünen wie jeher wieder am Nasenring durch die Manege führt, falls diese Partei im September überhaupt noch über die 5-Prozent-Hürde kommt. Ist schon einmal jemandem die Idee gekommen, dass der Schulz-Hype auch von versprengten und enttäuschten Grün-Wählern kommt, die auf gar keinen Fall wollen, dass eine Frau Merkel – unterstützt durch Özdemir & Co – weiter an der Macht bleibt? Der Stillstand in Baden-Württemberg ist abschreckend genug! Wo ist denn die Unterstützung von grüner Seite für die Plakataktion von Frau Hendricks gegen eine weitere Vergiftung der Umwelt?

Wo sind grüne Initiativen, die die Jugend Europas zusammenführt gegen die Rückkehr der Nationalstaatlichkeit und das bei einer Kampfansage von Herrn Trump. Es gäbe genug zu tun , sind die Recken zu müde geworden von ihrem harten Kampf in den Parlamenten? DIETMAR RAUTER, Kronshagen

Retraumatisierendes Schweigen

betr.: „Du Opfer“, taz vom 11./12. 2. 17

Danke, dass Sie das Thema „sexualisierte Gewalt“ fortführen. Das Schweigen darüber ist retraumatisierend. Es wiederholt das Schweigen der Familie eines Kindes, das sexualisiert wird. Die Familie will nicht wissen, was passiert, will nicht für wahr nehmen – und das Kind lernt nicht, sich selbst wahrzunehmen. Das gesellschaftliche Schweigen brechen heißt Alternativen der Bewältigung aufzeigen.

Für die Gesellschaft wären wir am liebsten tot – schrecklich, aber nicht mehr zu ändern. Wir sind aber viele, wir leben – so wie Gefolterte unter uns leben. Wir sind Täter und Täterinnen unseres Lebens. Manche geben, süchtig nach Schmerz, die Erfahrung weiter oder wiederholen sie als Opfer. Manche versacken in der Depression.

Manche finden zu einem glücklichen Leben, das anderen Mut macht – nach einem langen Weg der Rekonstruktion des ICH. Heißt: Schmerz wiederholen, immer und immer wieder, Verwinden von Scham, Unwertgefühl, Selbstmitleid, Größenfantasie – die Unfähigkeit vieler Ärzte, sich dem Thema zu stellen, und bleibende Behinderungen akzeptieren …

Alt werden in diesem Leben mit leuchtenden Augen – die Mühe lohnt sich. HEIDE MARIE VOIGT, Bremen