So viel Drama

Alltag Weil der FC Bayern wieder einmal im letzten Moment trifft, macht sich in Berlin große Empörung breit. Warum jedoch tun sich die in der Champions League so überzeugenden Münchner in der Liga so schwer?

Blau-weißes Entsetzen und roter Enthusiasmus: Der FC Bayern feiert wieder ein Tor in letzter Sekunde Foto: dpa

Aus Berlin Johannes Kopp

Gegiftet und geschimpft wurde nach der Partie auf dem Rasen, den Rängen und in den Katakomben des Berliner Olympiastadions. Gezankt und geklagt. Gespottet und sogar gespuckt.

Mit so viel Drama hatte zuvor an diesem späten Samstag wohl kaum einer noch gerechnet. Zäh wie zuletzt alle Bundesligapartien mit Beteiligung des FC Bayern schleppte sich das Duell zwischen dem Herausforderer, den aufopferungsvoll kämpfenden und in Führung liegenden Berlinern, und den Münchnern dem Ende entgegen. Und dieses Mal schien der große Meister der Schlusspointe anders als in Ingolstadt oder Freiburg zuvor wirklich entwaffnet zu sein.

Doch dann dehnte Schiedsrichter Patrick Ittrich nach ausgedehnten Berlinern Wechseln die fünfminütige Nachspielzeit aus und Robert Lewandowski nutzte nach einem Freistoß in der 96. Minute eine unübersichtliche Situation im Strafraum zum Ausgleich.

Einen „Bayern-Bonus“ erkannte Herthas Trainer Pal Dardai in seiner ersten Erregung bei Ittrichs Zeitmaß. Der Zorn vieler Zuschauer richtete sich hingegen auf die Akteure des FC Bayern. Deren Trainer Carlo Ancelotti wurde von der Haupttribüne aus offenbar bespuckt, weshalb er mit dem ausgestreckten Mittelfinger antwortete. Noch so ein Aufreger, der aus einem gewöhnlichen Spiel ein besonderes machte. Schiedsrichter Ittrich soll ebenfalls unangenehme Erfahrungen mit einer Berliner Schnauze gemacht haben und einen Sonderbericht an den DFB verfasst haben.

Auch die Münchner waren aufgebracht. Thomas Müller und Torhüter Manuel Neuer lästerten über die vielen Berliner Krämpfe, welche die Partie in der zweiten Hälfte immer wieder zum Erliegen brachten. Neuer ätzte: „Ich glaube, die haben zuletzt oft in der Champions League gespielt.“

Die Berliner allerdings machten den extremen Aufwand, den sie betrieben, um mit dem FC Bayern mithalten zu können, für die körperlichen Ausfallerscheinungen verantwortlich. Niklas Stark fasste seine Leidenszeit in der Schlussviertelstunde in Zahlen zusammen: „Vier Krämpfe. Doppelte aber, immer in beiden Waden.“

Diese maßlose Plackerei als Grundrezeptur gegen die Übermächtigen würde erklären, weshalb der FC Bayern zuletzt in der Bundesliga immer so spät das Blatt noch wenden konnte. Die Erschöpfung der anderen waren der Weg zum eigenen Erfolg. Betrachtet man allerdings die Laufstatistik von Samstag, stärkt dies eher den Münchner Argwohn. Die Hertha-Spieler liefen insgesamt nicht einmal zwei Kilometer mehr als ihre Gegner.

In Kombination mit der Ballbesitzstatistik (71:29 Prozent für die Münchner) veranschaulichen die Zahlen allerdings ein Problem des FC Bayern in der Liga. Sie tun sich schwer, Ball und Gegner sinnvoll laufen zu lassen.

„Vier Krämpfe. Doppelte aber, immer in beiden Waden“

Niklas Stark beziffert seine Leiden

Die Diskrepanz zwischen dem mühseligen Alltag und den Feiertagen – wie vergangenen Mittwoch beim 5:1-Erfolg gegen Arsenal – erklärte Neuer so: „Arsenal ist eine Mannschaft, die mitspielen will. Dardai ist ein Trainer, der weiß, wenn der FC Bayern kommt, muss man die Räume eng halten.“

Während die Bayern über die breiten Boulevards der Champions League eher ins Gleiten kommen, rumpeln sie über die schlaglochreichen Kopfsteinpflasterwege der Liga. Ihre Kontrahenten sind immer besser in der Lage, ihr Spiel zu zerstückeln.

Nun könnte man Ancelotti vorhalten, dass sein Vorgänger Pep Guardiola eine wesentlich geländegängigere Mannschaft geformt hat, die selbst im na­tio­nalen Spielbetrieb glänzte. Allerdings ist anzuerkennen, dass gerade individuell schlechter besetzte Mannschaften die Konzepte des pressenden Umschaltfußballs in den letzten Jahren verfeinert haben. „Ich denke, dass die Teams in der Liga sich gut auf uns einstellen können und wissen, wie sie uns das Leben schwermachen“, räumte Neuer ein.

Solange die Münchner so regelmäßig weiter in letzter Minute treffen, ist das aus Sicht des Titelverteidigers kein Drama. Streng genommen hätte in Berlin schon der erste Treffer für Hertha nicht zählen dürfen. Der Freistoß, der Vedad Ibišević in der 21. Minute erlaubte, seine Torflaute zu beenden, hätte gar nicht gepfiffen werden dürfen. Selbst in der Zeitlupe war nicht zu sehen, dass Marvin Plattenhardt von Arturo Vidal berührt wurde. Eigentlich ist also am Samstag gar nichts passiert.