Diskurse und Schulen
: Zeit der Anspielungen

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Oidorno (18. 2., Rote Flora). Ist das eigentlich „diskursiv“? Immerhin denkt bei diesem Bandnamen nur eine winzig kleine Randgruppe an die im Wort zum Tragen kommende – undialektische – Liaison zwischen fein ziselierter kritischer Theorie und rau- bzw. breitbeinigem Straßenprotest ungezogener Lümmel mit kurzen Haaren. Und weiß, dass der große Frankfurter Denker ein eher unterkühltes Verhältnis zur Popkultur pflegte.

Die schon etwas größere Randgruppe der betagten Geisteswissenschaftler und Weltverbesserer von gestern denkt hingegen nur an einen Rechtschreibfehler. Und die Mehrheit? Sie denkt an nichts, wenn sie nicht gerade an nichts Gutes denkt. Die Zeit der öffentlichkeitswirksamen tiefschürfenden Anspielungen ist genauso vorbei wie die der großen Diskurse und relevanten Schulen.

Dem Professor konnte man immerhin vorhalten, dass er über die Verderbnis der Welt im warmen „Grand Hotel Abgrund“ philosophiert. Heute fallen beim Stichwort Gesellschaft nur das „Grand Hotel van Cleef“ und die Platten ein, die dieses Label in die Welt hinausschickt, um sie Tag für Tag ein bisschen besser zu machen. Soweit der Zustand der Frankfurter und der Hamburger Schule.

Im Nachlass Letztgenannter bewegen sich fast nur noch Die Sterne (2. 3., Uebel & Gefährlich) einigermaßen putzmunter und aufrecht. Und das haben sie zum 25-jährigen Jubiläum andere Bands auf einem Best-of-Album dokumentieren lassen. Schlecht ist das nicht, für richtige Überraschungen sorgt aber jemand anders: Pete Doherty (24. 2., Große Freiheit). Das britische Enfant terrible präsentiert sich auf seinem neuen Album nämlich frisch politisiert und wartet mit einer erwähnenswerten Doppelbödigkeit auf.

Mit Blick auf den islamistischen Anschlag auf das Pariser Bataclan heißt es in einem Song: „Come on boys, choose your weapons / J-45 or an AK-47?“ Und was er weiß, wissen wir jetzt auch: Es war eine Gibson J-45, auf der Woody Guthrie den wenig friedlichen Aufkleber „This machine kills fascists“ platzierte. Ist das jetzt diskursiv?