„Ans Warten haben sich die Berliner eh gewöhnt“

Das bleibt von der Woche Fahrradaktivisten und politisch Verantwortliche haben sich an einen Tisch gesetzt, Warnstreiks legen das Leben in Kitas und Schulen lahm, das Einheitsdenkmal soll das Volk nun doch zum Wippen bringen, und die Deutsche Wohnen erklärt im Bauausschuss, sich lieber um die eigene Rendite als um den Willen der Koalition kümmern zu wollen

Was soll diese Distanz?

Gespräche zum Fahrrad

Der Volksentscheid Fahrrad hat den Radfahrenden neue Zuversicht gegeben

Jetzt dreht sich also doch was: Am Mittwoch begannen unter der Leitung von Verkehrssenatorin Regine Günther Gespräche über das künftige Gesetz, welches Berlins Radverkehrs­infra­struktur endlich ins 21. Jahrhundert holen soll. Neben Koalitionsvertretern aus Senat und Parlament sitzen Mitglieder der Initiative Volksentscheid Fahrrad und des ADFC mit am Tisch.

Das Beste dabei: Sie alle wollen im Grunde dasselbe – mehr und bessere Radwege, ein Radstraßennetz, sichere Kreuzungen, mehr Stellplätze, Fahrradparkhäuser und, und, und. Zur Finanzierung hat Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag rund 200 Millionen Euro für diese ­Legislaturperiode versprochen. Geht’s noch besser?

Ja, geht es. Denn in Sachen Kommunikation und Partizipation hat die neue Landesregierung schon eine ganze Menge Porzellan zerschlagen beziehungsweise Reifen zerstochen, um im Bild zu bleiben. Die Fahrradaktivisten klagen bitter über die mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit. Und Arbeit hatten sie im vergangenen Jahr, viel Arbeit.

Woran liegt es, dass Günther und Co nach Kräften die Feststellung umschiffen, dass hier ein Bürgerbündnis erfolgreiche Vorarbeit geleistet, einen – stellenweise korrekturbedürftigen – Gesetzentwurf erstellt und Zigtausende dafür begeistert hat? Warum hat die Senatorin, die als langjährige WWFlerin selbst aus dem zivilgesellschaftlichen Engagement kommt, nicht den Schulterschluss mit diesen Radbegeisterten gesucht, sondern ist, wie man hört, von Anfang an sehr distanziert aufgetreten?

Was auch immer man am Volksentscheid Fahrrad im Detail auszusetzen hat, es ist sein kaum zu unterschätzendes Verdienst, den Radfahrenden in der Stadt neue Zuversicht gegeben zu haben. Darauf baut Rot-Rot-Grün jetzt auf. Es wäre das Mindeste, diese Leistung gebührend anzuerkennen. Claudius Prößer

Sie haben die Macht und die Lobby

Streikende ErzieherInnen

Immerhin ein Drittel ging auf die Straße. Oder auch nur ein Drittel

Hat eigentlich irgendjemand mitbekommen, dass in dieser Woche in den Bürgerämtern gestreikt wurde? Oder bei der Polizei? Gut, ans Warten auf dem Amt haben sich die Berliner eh gewöhnt, und wenn die Tagschicht in den Gefängnissen streikt, ist der durchschnittliche, unbescholtene Bürger wenig betroffen.

Aber es ist schon so: Der zweitägige Warnstreik, zu dem die Gewerkschaften diese Woche die Angestellten im öffentlichen Dienst der Länder aufgerufen hatten, schnurrte in der öffentlichen Wahrnehmung zum Kita- und Schulstreik zusammen. Dabei machten die angestellten Lehrkräfte und die ErzieherInnen in den Kita-Eigenbetrieben und in den Schulhorten nur ein Viertel der 120.000 BerlinerInnen aus, die Verdi, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und andere zum Streik aufgerufen hatten.

ErzieherInnen und Lehrkräfte haben Macht, wenn sie streiken. Zu betreuende Kinder, zumindest wenn sie noch im Kitaalter sind, setzen jeden Arbeitnehmer, der auch Elternteil ist, weitgehend außer Gefecht (und die kinderlosen KollegInnen leiden also im Zweifelsfall mit). Streikende ErzieherInnen und LehrerInnen haben aber – trotz des Ungemachs, das sie Eltern stets bereiten, die hektisch Betreuungsalternativen organisieren – eine starke Lobby. Der Argumentation kann man sich eben nur schwer verschließen: dass man denjenigen, die sich – aber bitte motiviert und versiert! – um unsere Kinder kümmern, und zwar trotz großer Kitagruppen und trotz dünner Personaldecke in den Schulen, eine entsprechende monetäre Wertschätzung entgegenbringen sollte.

Die Forderung der ErzieherInnen, genauso viel zu verdienen wie ihre KollegInnen, die bei Bund und Kommunen angestellt sind– nämlich 427 Euro mehr –, ist also berechtigt. Dass die angestellten LehrerInnen genauso viel verdienen wollen wie ihre verbeamteten KollegInnen ebenfalls.

Rund 5.000 ErzieherInnen und fast 3.000 LehrerInnen gingen am Mittwoch und Donnerstag auf die Straße. Aufgerufen waren jeweils 15.000. Immerhin, kann man sagen, das ist ein Drittel der ErzieherInnen. Oder auch nur ein Drittel.

Sie haben die Macht, sie haben die Lobby, sie haben berechtigte Forderungen. Am Ende der Verhandlungsrunden, die am Donnerstag und Freitag fortgesetzt wurden, wird wohl ein Kompromiss stehen. Da geht also noch was. Anna Klöpper

Letztlich doch alles Banane

Einheitsdenkmalkommt

Mit der Wippe ­bekommt das Land ein Denkmal, das so recht niemand will

Nun also doch: Die Bundesrepublik – und damit Berlin – bekommt ihr Denkmal des Bür­ger­auf­stands in der DDR und der Wiedervereinigung. Lange war es umstritten, zwischenzeitlich wurde es vom Finanzausschuss des Bundestags gekippt und der Rekonstruktion wilhelminischer Kolonnaden geopfert. Jetzt sprachen die Spitzen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD am Dienstag ein Machtwort. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Form einer langsam beweglichen, leicht gewölbten Schale wird vor dem neuen Stadtschloss errichtet.

Ein Grund zur Freude ist das vor allem deshalb, weil damit der Nachbau des Säulengangs an ebendieser Stelle, der einst das Reiterstandbild des ersten deutschen Kaisers Wilhelm I. umgab, vom Tisch ist. Erspart bleibt Berlins Mitte also ein weiterer Akt rückwärtsgewandter Einfallslosigkeit mit fragwürdigem Bezug zur Geschichte. Dafür ist das Schloss allein schon gut genug.

Mit der Einheitswippe bekommt das Land dennoch ein Denkmal, das so recht niemand will, außer vielleicht Wolfgang Thierse (SPD), der sich in der Debatte engagiert hat, als hänge sein Lebenswerk davon ab. Ansonsten überwiegt die Kritik. Man solle doch erst mal für die Angleichung von Löhnen und Renten in Ost und West sorgen, beschweren sich einige aus dem ja wohl gemeinten „Volk“, ehe viel Geld in solch ein Denkmal gesteckt werde.

So unzulässig vereinfachend die Verknüpfung beider Sachverhalte ist, zeigt der Hinweis dennoch gleich doppelt in die richtige Richtung. Die Wiedervereinigung ist aufgrund ebenjener Unterschiede nicht voll­endet und deshalb auch noch nicht denkmalreif. Zweitens: Die Kostenfrage bleibt ungeklärt. Statt einst zehn Millionen Euro gehen die Planer inzwischen von 15 Millionen aus, ein weiterer Anstieg nicht ausgeschlossen.

Hinzu kommt: Das Denkmal, das sich bewegen wird, wenn sich mehr als 50 Eventbesucher auf der oberen Schale verlustieren, vermittelt ein schiefes Bild. Denn auch wenn die Macht der Bürger bewegt – die Wippe wird alsbald wieder umschwenken. Gesellschaftlicher Fortschritt wird so kaum verdeutlicht. Vielleicht ergibt sich die Deutung des Denkmals dann doch aus seiner an etwas anderes erinnernden Form, dem eigentlichen Sinnbild der Wiedervereinigung: einer Banane.

Erik Peter

Eine Kraftprobe der Vermieter

Deutsche Wohnen in Kritik

Umso nötiger ist eine zwischen Senat und Bezirken abgestimmte Wohnungspolitik

Der Auftritt der Deutsche Wohnen im Bauausschuss des Abgeordnetenhauses war eine gruslige und ernüchternde Veranstaltung. Berlins größter Vermieter mit 107.000 Wohnungen lässt lieber Heizungen unrepariert, als seinen Aktionären weniger Rendite zu zahlen. Das war das Bild, das der Mieterverein und ein Mietenaktivist am Mittwoch zeichneten.

Die Deutsche Wohnen selbst, deren Geschäftsführer es nicht für nötig hielt, persönlich zu erscheinen, hat das nicht einmal richtig dementiert, sondern eine neue Attacke gegen den Mietspiegel geritten – auf dass die Rendite künftig noch höher ausfallen möge. Was da am Mittwoch im Abgeordnetenhaus passierte, war eine Machtdemonstration. Ihre Botschaft: Rot-Rot-Grün kann in den Koalitionsvertrag schreiben, was es will – uns private Vermieter tangiert das nicht.

Die neue Koalition muss also aufpassen, dass sie nicht gleich zu Beginn ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommt. Denn die Erwartungen sind hoch. SPD, Linke und Grüne haben im Wahlkampf versprochen, die Mieten bezahlbar zu machen. Auch deshalb wurden sie gewählt. Erweist sich am Ende, dass für dieses Ziel die Mittel nicht ausreichen, könnte der Frust groß sein.

Umso nötiger ist deshalb eine zwischen Senat und Bezirken abgestimmte Wohnungspolitik. Um Luxussanierungen und Umwandlungen zu bremsen, sollten schnellstmöglich weitere Erhaltungsgebiete ausgewiesen werden. Die Bezirke, die mit der Deutsche Wohnen zu tun haben, sollten sich kurzschließen und, wie es die Grüne Katrin Schmidberger vorgeschlagen hat, die Bauaufsicht in Stellung bringen. Wenn der neue Staatssekretär für Wohnen der Linken seine Arbeit aufnimmt, sollte er zu erkennen geben, dass er auch den Neubau zu seinen Aufgaben zählt.

Ja, der rot-rot-grüne Vertrag ist gut für die Mieterinnen und Mieter. Bislang aber nur für die, die – selbst wenn Degewo und Co nicht immer das tun, was sie sollen – eine landeseigene Wohnung gemietet haben. Das sind 300.000 von 1,9 Millionen Wohnungen. Für alle anderen darf Rot-Rot-Grün keine Erwartungen wecken, die es nicht erfüllen kann. Und gleichzeitig muss der Senat so viel Druck aufbauen, wie nur möglich ist. Denn die Glaubwürdigkeit hängt auch vom politischen Willen ab.

Uwe Rada