Wer den Backshop scheut und den Bäckermeister vermisst, landet schließlich beim Brotberater: Ein Lob der Bäckerei im Allgemeinen
Herbstzeitlos
Martin Reichert
Morgens in der Bäckerei. Da hat man doch gleich ein Bild vor Augen. Knisternde Papiertüten, Kaffeemaschinen, die leise vor sich hin sprotzen, und dann natürlich der Geruch, nicht nur nach Kaffee, sondern eben auch nach Backwerk, mal süßlich, mal säuerlich; auf jeden Fall frisch.
Um die Ecke vom Berliner taz-Gebäude in Berlin-Kreuzberg hat nun ein neuer Bäcker aufgemacht. Sicher, es ist nur die Filiale eine Kette – aber es ist eben eine Kette, die nichts mit Berlin zu tun hat, und das kann in Zusammenhang mit Backwerk eigentlich nur Gutes bedeuten. Der Berliner an sich, er kann nicht backen; überall bekommt man in den Filialen der Bäckereiketten Industrieware gereicht, belegt womöglich mit minderwertigem Aufschnitt oder überkleistert mit Zuckerpampe. Auch wird man bei Bestellung der unerfreulichen Ware häufig ortsüblich angeschnauzt: „Was noch?“
Insbesondere aus den südwestlichen Bundesländern zugewanderte Berliner werden so daran erinnert, dass sie auch da hätten bleiben können, wo sie herkommen. Also dort, wo es besser bestellt war um das Gebäck. Noch gut erinnern kann ich mich zum Beispiel an das Brot der Kindertage. Der Bäckermeister brachte es mit seinem Café-au-Lait-farbenen VW-Bus. Nachdem das luftgekühlte Rasseln des Motors erloschen war, hupte er zweimal und öffnete die Heckklappe: Dort aufgebahrt lagen die drei Pfund schweren Laibe, goldbraun glänzten sie und waren so knusprig und strotzend, dass sich vereinzelte Krumen von der Kruste lösten und auf die mit Backpapier ausgekleidete Lade fielen.
Manchmal waren große Löcher im Inneren des Brotes, ausgebackene Luftblasen waren es, doch selbstverständlich glaubte ich an die Erzählung meiner Mutter, wonach die Löcher daher rührten, dass der Bäckermeister zuvor durchgekrochen sei. Warum sollte der nette, alte Herr auch nicht mit dem Wechselgeld in der Tasche seines weißen Kittels durch seine Brote turnen, wenn er sie doch auch höchstpersönlich im Morgengrauen gebacken hatte?
Diesen Bäckereifach- und Familienbetrieb gibt es schon lange nicht mehr, die Kinder hatten keine Lust, ihn zu übernehmen, und haben stattdessen wahrscheinlich Sozialwissenschaften studiert. Die „Puddingteilchen“, die es dort gab, sind mir später noch einmal begegnet, in St. Tropez, als „Tarte Tropézienne“, wie schön prätentiös das klingt. Ein deutscher Bäcker hatte das teutonische Streuselgebäck mit Vanillefüllung nach Südfrankreich exportiert und dort zur Torte aufgeblasen.
Die neu eröffnete Bäckereifiliale in Berlin-Kreuzberg, vielleicht könnte sie ja den Glanz der Backvergangenheit ein wenig auffrischen helfen, das Backshop-Elend aufgewärmter „Teiglinge“ aus tschechischen Fabriken vergessen zu machen. Unglaublich freundliche und adrette „BrotberaterInnen“ stehen hier bereit und reichen die wohlschmeckende Ware über den polierten Tresen, mehrsprachig, „I wish you a nice day.“ Doch dann fällt der Blick auf ein „Frühtück to go“ in der Vitrine. Ein Brötchen mit „Rührei-Patty“ und Speck.
Ach du je. Die Madeleines der Kindheit, glutenfrei.
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