„Schröder als Außenminister und Vizekanzler“

Klaus von Dohnanyi erlebte die große Koalition einst als Staatssekretär. Er meint, Schröder muss auch weiter Verantwortung übernehmen

taz: Herr von Dohnanyi, ist die Ausgangslage für eine große Koalition heute schwieriger als 1966?

Klaus von Dohnanyi: Vermutlich ist es dieses Mal schwieriger. 1966 hat Ludwig Erhard als Bundeskanzler selbst gesagt, dass er nicht mehr weiter regieren möchte. Deshalb ergab sich nicht wie heute die Notwendigkeit, mit einem amtierenden Bundeskanzler über eine Koalition zu verhandeln, in der er nicht mehr Bundeskanzler sein kann.

Also muss Gerhard Schröder weg?

Ich habe nicht gesagt, dass Schröder verzichten soll. Aber es ist bisher immer so gewesen, dass die stärkste Fraktion am Ende den Kanzler stellt. Und so wird es auch dieses Mal sein. Man sollte aber jetzt nicht – wie es zum Beispiel Michael Glos von der CSU tut – auf den Kanzler einreden, er müsse sich schon an diesem Montag zurückzuziehen. Es wäre klüger, Schröder für die große Koalition zu gewinnen. Eine Koalition, in der Schröder Außenminister und Vizekanzler wäre – das ist, was ich gerne sehen würde. Das hieße, Verantwortung auch dann zu übernehmen, wenn man nicht mehr ganz oben ist. Ich würde Gerhard Schröder jedenfalls sehr ungern in der Bundesregierung vermissen.

1966 kam die SPD aus der Opposition, jetzt kommt sie aus der Regierung. Sind die Verhandlungen also ein Rückzugsgefecht?

Sie sind kein Rückzugsgefecht. Es geht vielmehr um die Weiterführung der Reformpolitik – allerdings mit einem etwas anderen Akzent. Der wichtigste Unterschied zu 1966 ist aber: Heute sind die Probleme viel größer.

Welche Probleme müsste eine große Koalition denn zuerst angehen?

Vor allem die Entflechtung von Zuständigkeiten. Die große Koalition 1966 hat versucht, Deutschland durch eine stärkere Zentralisierung besser steuerbar zu machen. Das hat sich als ein Fehler erwiesen: Heute weiß niemand mehr, wer wofür verantwortlich ist. Genau dieser Fehler muss rückgängig gemacht werden. Die Länder und die Kommunen müssen sogar noch mehr Verantwortung als vor 1966 bekommen.

Und darauf werden sich SPD und CDU einigen können?

Ich bin mir nicht sicher, ob es in der Föderalismusreform den Konsens gibt, den wir eigentlich brauchen. Was Stoiber und Müntefering in der Föderalismuskommission ausgearbeitet haben, reicht nicht annähernd aus. Die beiden haben den Finanzbereich nicht einbezogen – und ohne den wird man eine wirkliche Reform nicht machen können.

Brandt hatte die Ostpolitik, Kohl die Wiedervereinigung – was könnte das Projekt einer großen Koalition sein?

In der Globalisierung entstehen unsere Probleme, weil es auf der Welt mehr Freiheit gibt: Die Chinesen, Russen und Polen können und dürfen mehr als früher. Ich finde, auf diese Freiheit kann Deutschland nur mit mehr Freiheit reagieren.Wir müssen freiheitlicher, dezentralisierter, eigenverantwortlicher werden. Unter den Bedingungen der Globalisierung brauchen wir die gleiche Beweglichkeit wie andere Länder.

Was bedeutet das konkret?

Davon kann man viel ableiten. Zum Beispiel auch Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen.

Und das soll die SPD als ihr Projekt verkaufen? Schon jetzt sind doch Wähler zur Linkspartei übergelaufen.

Politik verkaufen zu können ist nicht so wichtig wie das Richtige zu tun. Man muss aufhören, darüber zu nachzudenken, ob die Parteien hier oder da den einen oder anderen Wähler verlieren. Die Parteien dürfen nicht nur in Marktanteilen denken – das ist nicht ihre Aufgabe, sondern die der Automobilindustrie. Erst jenseits der Marktanteile beginnt die Verantwortung der Politik.

Rechnen Sie mit langen Koalitionsverhandlungen?

Ich rate sogar dazu, länger zu verhandeln. Der Handlungsdruck bei Rente oder Gesundheit besteht seit Jahrzehnten. Es ist besser, jetzt die Grundsätze festzuklopfen. Sonst muss man die Koalitionsvereinbarung sehr bald revidieren, weil einem eine neue Wirklichkeit begegnet, auf die man gemeinsam nur mit vereinbarten Grundsätzen reagieren kann. INTERVIEW: KLAUS JANSEN