LeserInnenbriefe
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Selbstbestimmt und glücklich

betr.: „Die gecoachte Republik“, taz vom 11./12. 2. 17

Erschrocken habe ich die taz aus dem Briefkasten gefischt. Neben meiner neurowissenschaftlichen Tätigkeit bin ich selbst Coach mit dem Fokus auf der Arbeit mit SchülerInnen und Studierenden. Ich sehe meine Arbeit als einen Gegenpol zu unserer leistungsorientierten Bildungslandschaft und als Unterstützung von denjenigen Menschen, die sich in unserer effizienzmaximierten Gesellschaft nicht gut zurechtfinden. Es geht mir dabei nicht um „Optimierung“, es geht mir um Orientierung. Es geht nicht um die „Überflüssigkeit“ oder Abschaffung von Schwächen, sondern um das Akzeptieren und wahrnehmen von Selbigen und um den richtigen Umgang mit ihnen – mit dem Ziel, sich im Alltag besser zurechtzufinden und selbstbestimmt die eigenen Entscheidungen zu treffen. Somit geht es – ja – um „Besserung“, aber in Bezug auf das Wertesystem des Klienten, welches allzu oft durch Fremdbestimmung verloren geht. So kann Coaching ein sinnvolles Angebot für all diejenigen sein, die sich (noch?) zu gesund fühlen, um eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, und zu unzufrieden, um in ihrem Alltag selbstbestimmt und glücklich zu sein.

Die polemische Frage auf der Titelseiten, wie wir Coaches wieder loswürden, zielt damit in die falsche Richtung, denn nicht die Coaches sind das Problem, sondern eine allgemeine Werteverschiebung zugunsten einer zu wenig hinterfragten Funktionalität im Gegensatz zur Muße; das Problem sehe ich in einer Entwurzelung in unserem gesellschaftlichen Miteinander im Gegensatz zu einer unterstützenden Gemeinschaft, in der Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein offenes Ohr finden und in der es dann vielleicht keine Coaches oder Therapeuten bräuchte; und das Problem steckt in Erwachsenen, Lehrern und Professoren, die allzu oft ihre Fürsorgepflicht vernachlässigen. Wer Coaching in wirtschaftlichen Unternehmen (keine Ahnung, was die da treiben) mit dem Coaching von Privatmenschen in persönlichen Krisen in einer solch diffamierenden Weise darstellt, wie Sie das allein in Ihren Überschriften tun, der hat noch einen langen Weg vor sich, um das Wesen eines fürsorglichen gesellschaftlichen Miteinanders zu begreifen. SEBASTIAN PHILIPP, Freiburg

Minderung des Gelernten

betr.: „Unterschriften gegen Turbo-Abi“, taz vom 8. 2. 17

Als Schüler im zweiten baden-württembergischen G8-Jahrgang habe ich die Beschwerden Ihrer Gesprächspartner allesamt miterleben können. Schon in der 5. Klasse war mit dem Unterricht Dienstag und Donnerstag erst um 16:15 Uhr, Mittwoch 14:35 Schluss. Nur montags und freitags ging es schon um 12:55 auf den Heimweg. Nachdem dies zu Protesten von allen Seiten führte, wurde die Schulzeit gleichmäßiger über die Woche verteilt. Außerdem kamen im Laufe der Zeit zusätzliche Vorschriften der Landesregierung hinzu, die unter anderem Hausaufgaben beschränkten.

Das breite ehrenamtliche Engagement in der Gesellschaft ist für mich eines der wichtigsten Dinge, die Deutschland ausmachen. Für mich besonders enttäuschend war daher, dass man in den Jugendgruppen vor Ort die Auswirkungen jedes Mal von Neuem sah. Ein paar Monate nach Schuljahresbeginn wurden mehr und mehr Kindern ihre Verpflichtungen zu viel und sie reduzierten dort, wo es möglich war, zugunsten der Freizeit. Vonseiten derer, die zwei Jahre früher eingeschult worden waren, bekam man immer nur zu hören, wie froh sie darüber sind. In meinen letzten beiden Schuljahren durfte ich erfahren, wie Gymnasium auch anders geht. Auf einmal war für alles mehr Zeit vorhanden, sowohl im Schulischen als auch in der Freizeit. Eine Schulzeitverkürzung mindert das Gelehrte nicht, aber schmälert das Gelernte.Matthias Scharffenberger, Mannheim/Dundee (Schottland)

Krankenversicherung reformieren

betr.: „Zu arm für die Krankenkasse“, taz vom 10. 2. 17

Barbara Dribbusch beschreibt nur ein Beispiel, wie ungerecht es in der Krankenversicherung zugeht. Die PKVen suchen sich ihre potenten, gesunden und jungen Mitglieder aus. Kleinselbstständige sind für die PKVen eine uninteressante Klientel: Zu viele ältere und kranke Menschen, hohe Beiträge, Leistungsausschlüsse bei Vorerkrankungen.

Aber nicht nur Kleinselbstständige zahlen unverhältnismäßig hohe Beiträge in die GKV. Es gibt noch andere in der GKV freiwillig Versicherte: 10 Prozent der Beamten und Pensionäre beispielsweise. 90 Prozent dieses Personenkreises erhalten als PKV-Versicherte eine Beihilfe von bis zu 70 Prozent (Pensionäre) der Privatrechnungen, müssen also nur 30 Prozent der Kosten privat absichern. Die 10 Prozent der in der GKV versicherten Beamten und Pensionäre erhalten hingegen nicht einmal einen Beitragszuschuss und müssen sogar noch Zins- und Mieteinkünfte verbeitragen. Statt Beihilfe sollen sie außerdem eine private Zusatzversicherung abschließen, um sich Wahlleistungen leisten zu können. Gerade im Alter und bei zunehmenden Krankheiten ist das eine Zumutung für die Betroffenen.

Die mächtigen Versicherungskonzerne mit ihren wirtschaftsliberalen Vertretern sind politisch gut aufgestellt. Vulgo „Privat vor Staat“! Die gesetzlich normierte Armut für freiwillig gesetzlich versicherte Kleinselbstständige mit geringem Einkommen bedroht deren Existenz auf Jahre.

Kein unsolidarisches Privatversicherungsprivileg für Staatsdiener! Eine reformierte Krankenversicherung, die alle mitnimmt, in der es auch einen Beitragszuschuss für freiwillig gesetzlich versicherte Kleinselbständige, Beamte und Pensionäre gibt, ist längst überfällig. HARDY AHLBORN, Herdecke