LeserInnenbriefe
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Betriebseigene Kneipe

betr.: „In Kälte und Regen verbannt“, taz vom 11./12. 2. 17

Liebe Raucher, wenn ihr einen Raucherraum verlangt, sollte aus Gleichbehandlungsgründen ebenfalls eine betriebseigene Kneipe für die Alkoholiker und eine Fixerstube für die Heroinsüchtigen vorgesehen werden. Mit welchem Recht erwarten Raucher, dass sie immer und überall ihre Sucht ausüben dürfen?

Silke Bestek , Gelsenkirchen

Machtheischende Nato

betr.: „In Kälte und Regen verbannt“, taz vom 9. 2. 17

Informativ zeigt Ulrich Franke eine Entwicklungslinie von 1917 bis heute auf. Leider zieht er daraus den katastrophalen Schluss, dass ausgerechnet die Nato der Charta der Vereinten Nationen zur universellen Geltung verhelfen sollte. Ich folge lieber einer anderen Logik: Die Atlantikcharta wurde 1941 gegen den damals etablierten Nationalsozialismus geschlossen. Viele Überlebende zogen aus dem Zweiten Weltkrieg den Schluss: „Nie wieder Krieg!“ Die Vereinten Nationen verdanken ihre Geburt dem Wunsch nach Frieden und der Hoffnung, Konflikte ohne Militär zu lösen. Die 1949 gegründete Nato war eine Reaktion auf den Beginn des Kalten Kriegs mit der Berlinblockade 1948. Die macht­heischende Nato „sichert“ bis heute das Auslaufmodell „militärische Geopolitik im Gedankenkäfig des 20. Jahrhunderts“. Weil Gewaltförmigkeit keine Lösung ist, sollten statt Militärs Peacekeeper ausgebildet und alle Menschen in ziviler Verteidigung unterrichtet werden. GEORG FISCHER, Schefflenz

Kapitalismus bleibt eine Qual

betr.: „Eine Qual? Nein, ein Epos“, taz vom 4. 2. 17

Der Kapitalismus selbst bleibt eine Qual, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Ulrike Herrmanns gut verständliche und kaum anfechtbare Ehrenrettung der Analyse von Karl Marx, neben der die aktuelle vorherrschende Wirtschaftstheorie wie des Kaisers neue Kleider erscheint, kommt nicht nur wegen des 150-jährigen Jubiläums zur rechten Zeit.

Nicht ganz teilen kann ich Ihre Stilkritik der ersten Abschnitte. Sie sind klarer als viele andere Teile und enthalten die Quintessenz, die Analyse der Ware als die „Elementarform“ und die „Arbeitswertlehre“. Obwohl diese Theorie nicht zu einer brauchbaren Theorie der realen Preise als Verbindungsstück zwischen Makro- und Mikrotheorie des Kapitalismus führt, kann man den giftigen Wurm, der im Kapitalismus steckt, nicht ohne diese grundlegende Theorie von Marx begreifen.

Im Übrigen scheitern alle späteren Versuche der Wirtschaftstheorie, dies Missing Link in einem realitätstauglichen Modell zu fixieren, bis heute. Alle noch so komplexen Modelle der Wirtschaftswissenschaftler machen Annahmen über einen Markt idealer Konkurrenz, die dem Wesen und der Realität des Kapitalismus zuwiderlaufen. Das hat Frau Herrmann verblüffend leicht verständlich dargestellt. Man kann die Tatsache, dass heute die technisch innovativsten und weltweit erfolgreichsten Produkte der Kommunikations- und Computertechnologie unter menschenverachtenden Produktionsbedingungen in „Billiglohnländern“ hergestellt werden, obwohl zum Beispiel die Firma Apple ein angehäuftes Finanzpolster besitzt, das die meisten Staatshaushalte auf der Welt übersteigt, nicht ohne die Arbeitswerttheorie verstehen.

Dieser immanente Zwang, die menschliche Arbeitskraft maximal auszubeuten, erscheint einfach irrsinnig. Man muss fragen, ob der Kapitalismus diese Differenzvorteile der Ausbeutung braucht, um zu überleben. Und man fragt sich, ob der Kapitalismus die permanente Entmachtung der Gewerkschaften braucht. Die Utopie einer Produktion ohne Ausbeutung menschlicher Arbeit im Kapitalismus ist jedenfalls Bullshit.

Burkhart Braunbehrens, Ebertsheim

Verelendung in den Kernländern

betr.: „Eine Qual? Nein, ein Epos“, Leserbrief „Marx hat recht“, taz vom 4./5. und 10. 2. 17

Verelendung und Ausbeutung sind überall dort in der Dritten Welt, wo Rohstoffe für die kapitalistischen Industrieländer gefördert und produziert werden, unerträglich, auch für die Menschen, die nicht in den Minen arbeiten, sondern lediglich in den Abbaugebieten leben. Ohne diese Ausbeutung von Menschen und großflächige Verwüstung der Lebensräume könnte der Kapitalismus nicht existieren.

Das reicht ihm aber nicht, auch in seinen „Kernländern“ nimmt die Verelendung rasant zu. Die Zusteller von Post und DHL, die Austräger, die Müllabholer, die Reiniger von Gebäuden und Straßen, die Kassierer und Regal„pfleger“, die Arbeiter an den Baustellen, die Busfahrer – jeweils auch -innen, die Arzthelferinnen, Krankenschwestern, Pfleger und -innen, die Mindestlöhner, das Heer der kleinen „Selbstständigen“: geringe Einkommen, steigende Mieten und Energiekosten, sinkende Renten bei steigenden Beiträgen, und alle ohne Schutz durch eine Gemeinsamkeit der Lohnabhängigen. Eine ZDF-Dokumentation über die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post und bei der DHL begann mit der Aktionärsversammlung der Deutschen Post: Die Anzugträger und – vereinzelt – Kostümträgerinnen zeigten sich höchst besorgt über die Entwicklung ihrer Dividenden. Dann kamen diejenigen ins Bild, die diese Dividenden erwirtschaften: die Zusteller und Zustellerinnen, die Lkw-Fahrer. Sie sind sämtlich Opfer raffinierter Arbeitsintensivierung und Lohndrückerei. Unvorstellbar, dass die Renten dieser Arbeiter und Arbeiterinnen für ein Leben jenseits von Verelendung reichen werden. BERND SCHÜNGEL, Berlin