Portrait
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Rücktritt: Labours linke Hoffnung Clive Lewis Foto: picture alliance

Die Stimme von Norwich

Für die Abstimmung über das Brexit-Gesetz am Mittwochabend im britischen Unterhaus hatte sich Clive Lewis einen Anzug angezogen und eine Krawatte umgebunden. Normalerweise trägt er Jeans und Pullover. Ob er sich für das wichtige Votum fein gemacht habe, fragte ihn ein Tory-Abgeordneter höhnisch.

Lewis stimmte gegen den Gesetzesantrag und verstieß damit gegen den Fraktionszwang. Er zog die Konsequenzen und trat als Minister für Energie und Unternehmen aus dem Labour-Schattenkabinett aus. „Als ich zum Abgeordneten für Süd-Norwich gewählt wurde“, sagte er, „habe ich meinen Wählern versprochen, zur Stimme von Norwich in Westminster zu werden, und nicht zu Westminsters Stimme in Norwich.“

Lewis wurde 1971 in London geboren, wuchs aber in einer Sozialbausiedlung in Northampton bei seinem alleinerziehenden Vater auf. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in Bradford und wurde zum Vizepräsidenten des Nationalen Studentenrats gewählt. Nach seinem Studium arbeitete er als Reporter für die BBC-Nachrichten. Er warf dem Sender jedoch vor, ihn als Nachrichtensprecher abgelehnt zu haben, weil er schwarz sei.

2006 wurde Lewis Offizier in der Armeereserve und kämpfte 2009 drei Monate lang in Afghanistan. Im Frühjahr 2015 zog er als Abgeordneter ins Unterhaus ein. Seitdem gehört er zur linken Minderheit in seiner Partei und stimmte unter anderem gegen Atomwaffen und Studiengebühren. Er war einer der 36 Abgeordneten, die die Kandidatur des linken Veteranen Jeremy Corbyn zum Parteichef im Herbst 2015 unterstützten.

Als nach dem Brexit-Referendum im Juni vorigen Jahres 60 Abgeordnete aus Corbyns Team zurücktraten, wurde Lewis verteidigungspolitischer Sprecher im Schattenkabinett. Seit Oktober war er für Energie und Unternehmen zuständig.

Lewis bezeichnet sich als „stolzen Sozialisten“, er gilt als große Hoffnung des linken Parteiflügels, weil er im Gegensatz zu Corbyn auch einen Draht zu den gemäßigt linken Abgeordneten hat. Deshalb sehen viele in ihm bereits Corbyns Nachfolger. So weit ist es jedoch noch lange nicht. Ralf Sotscheck

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