: Nach dem Untergang
Film Colm McCarthys „The Girl with All the Gifts“ fragt nach dem sozialen Ausgleichin einer zombifizierten Gesellschaft
von Thomas Groh
Seit George A. Romero 1968 mit „Night of the Living Dead“ den modernen Zombie etabliert, von Voodoo-Folklore freigelegt und als unberechenbares Trieb- und Impulswesen gekennzeichnet hat, wird der Zombiefilm auch als Gesellschaftsallegorie diskutiert. Mal stehen die massenhaften Wiederkehrer aus dem Reich der Toten für die kapitalistische Konsumgesellschaft, dann wieder gelten die lebenden Toten als Sinnbild einer paranoischen Angst vor den gleichmachenden Tendenzen von Konformismus oder Kommunismus.
Welcher Lesart man auch folgen will: Auffällig bleibt der Zombie, anders als der aristokratisch etikettierte Vampir, als der Proletarier unter den Monstern: Stets ist er einer unter zahllos vielen – und damit im Grunde keiner. Der Zombiefilm behandelt die Paradoxien der Massengesellschaft in Geschichten über deren Kollaps.
Segen und Fluch des Zombiefilms: Er kommt längst ab Werk mit diesem Wissen um seinen Subtext. Umso schöner, wenn gelegentlich ein Vertreter daherkommt, der eine originelle Perspektive einnimmt. So etwa Colm McCarthys atmosphärisch sehr schön geratener „The Girl with All the Gifts“, der auf M. R. Careys Roman „Die Berufene“ basiert.
Darin geht es gewissermaßen um die Sortierung der Lage nach der Apokalypse: Wie sich mit dem Zombie arrangieren? Kann es eine zombifizierte Gesellschaft des sozialen Ausgleichs geben?
Die größten Katastrophen sind in „The Girl with All the Gifts“ schon gelaufen: Nachdem ein geheimnisvoller Pilz weite Teile der Menschheit zu gefräßigen „Hungries“ degradiert hat, verschanzen sich die letzten verbliebenen Menschen in Bunkern, wo die idealistische Lehrerin Helen Justineau (Gemma Arterton) unter dem Argwohn des Militärs einer kleinen Gruppe von Kinder-„Hungries“ Unterricht erteilt. Diese „Hungries“ sind ein Sonderfall insofern, als sie auf den ersten Blick zu sozialem und kommunikativem Handeln weiterhin befähigt sind – erst gewisse Trigger machen sie zu Bestien. Bloße Simulation, aber kein tatsächliches menschliches Bewusstsein, meint dazu die Wissenschaftlerin Caroline Caldwell (Glenn Close), die sich von blutigen Experimenten mit den „Hungries“ einen rettenden Impfstoff verspricht.
Insbesondere an Melanie (Sennia Nanua), der eigentlichen Hauptfigur des Films, entflammt der Konflikt: Melanie ist ein „Hungry“, aber hochintelligent, empathisch und geradezu hungrig nach Wissen, insbesondere nach Geschichten aus der Antike. Für das Militär ist sie ein Feind, für Justineau Anlass zur Hoffnung, dass in den „Hungries“ Überreste von Menschlichkeit schlummern, die sich durch Bildung und Kultur reaktivieren lassen, und für Caldwell ein Sonderfall, der ein – für Melanie tödliches – Experiment ganz besonders dringend macht. Widerstreitende Positionen, die sich miteinander arrangieren müssen, nachdem der Bunkerkomplex von „Hungries“ überrannt und Melanie, die beiden rivalisierenden Frauen und einige Militärs im Urban Wasteland der Post-Apokalypse ihr Überleben ganz handfest organisieren müssen. Melanie stellt die Hoffnung dar, das letzte in der Büchse der Pandora verbliebene Element, nachdem die daraus entsprungenen Übel die Welt gründlich heimgesucht haben. Als solche muss sie sich in einer Umgebung, die ihr das kaum zugestehen will, unter Beweis stellen – auch gegenüber sich selbst, da Zweifel an ihr nagen, ob ihr Bewusstsein ein genuines ist – und ob sie einer Gesellschaft zugehörig ist, die sie als Objekt der Krise und der Verwaltung betrachtet.
Vor dem Hintergrund aktueller sozialer Kämpfe, den Verschiebungen der weltpolitischen Lage und den sich zuspitzenden Konflikten ist das eine einnehmende und einfühlsame Parteinahme für die Subalternen dieser Welt – nicht zuletzt, da die Schauspielerin Sennia Nanua schwarz ist. Dass die weiteren Hauptfiguren beinahe schon nebenbei nahezu allesamt weiblich und eher untypisch besetzt sind, verleiht dem auch schlicht als Genrebeitrag geglückten Film weiteren emanzipatorischen Reiz.
Am Ende steht denn auch als Fazit, dass eine Gesellschaft, die auf antagonistischem Denken basiert, wohl wirklich dem Untergang geweiht ist. „The Girl with all the Gift“ bietet hier jedoch als letztes Trostbild einen Ausblick auf eine mögliche Zukunft nach dem Weltuntergang an: Am Ende lehrt uns womöglich erst der Zombie, was es heißt, ein Mensch zu sein.
„The Girl with All the Gifts“. R.: Colm McCarthy, ab 9. 2. im Kino
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