Ohne Coaching, ohne Filter

Auf dem steinigen Weg zum Künstlertum gibt es mittlerweile eine Vielzahl akademisch asphaltierter Strecken. Doch nicht jeder angehende Künstler mag sie auch gehen

von PHILIPP LÖHLE

Vielleicht wären die Beatles froh gewesen, wenn es zu ihrer Zeit eine Popakademie gegeben hätte, und vielleicht hätte sich Peter Handke über eine Schreibschule gefreut. Doch die Beatles mussten erst eine Weile in Hamburg fremdes Liedgut spielen, ehe sie weltberühmt wurden, und Handke konnte sich nur öffentlich verwirklichen, weil Herr Unseld als Einziger bei Suhrkamp sein Manuskript gut fand und es druckte. Da haben es die heutigen jungen Kreativen leichter, womöglich. Wimmelt doch das ganze Land von künstlerischen Instituten. Nicht nur Schauspiel-, Regie- und Kunstschulen existieren landesweit, auch um die schreibende Zunft wird sich gekümmert. In Leipzig zum Beispiel. In Hildesheim, München oder Marburg. Und seit ein paar Jahren kann man in Mannheim sogar Diplompopmusiker werden.

Einzige Hürde: Die Aufnahmeverfahren klingen ganz und gar nicht nach romantischen Inspirationen bei Kerzenlicht. Die Eignungsprüfungen können durchaus abschreckend wirken, wenn man sich noch nicht so klar ist, was man von der Welt im Allgemeinen hält. Das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig etwa verlangt zwanzig Seiten Lyrik, Prosa oder Drama plus einen Abriss der künstlerischen Vita. Sollte beides der Kommission gefallen, erfolgt ein maximal eineinhalbstündiges Bewerbungsgespräch. Ist das bestanden, studiert man bei Hans-Ulrich Treichel und Josef Haslinger („Der Opernball“), schreibt am Ende in sechs Monaten einen Gedichtband, ein Theaterstück oder einen Roman als Abschlussarbeit und bekommt im Idealfall ein Diplom. Ein gewisser Grad an selbst erarbeitetem Erfolg wird also vorausgesetzt. Tagträumer, die sich vor allem als kommende Künstler imaginieren, haben keine Chance. Zu Recht.

Bleibt die Frage, ob dies der geradere Weg zu künstlerischem Erfolg und Selbstverwirklichung ist. Oder waren die Beatles und Handke nicht doch besser bedient, sich nur auf sich selbst zu verlassen? Immerhin bewerben sich in Leipzig auf zwanzig Plätze zirka 700 vermeintliche Nachwuchstalente. Vielleicht bringt es einen künstlerisch weiter, wenn man seine Energie nicht in Bewerbungsmappen und Aufnahmeprüfungen steckt, sondern in die eigene Arbeit. Sollte man also doch im stillen Kämmerchen vor sich hin schreiben und anschließend Verlagsklinken putzen? Oder kommt man heutzutage tatsächlich nur nach oben, wenn man einen personal trainer hat, der weiß, wie man sich gut vermarktet, oder wenn man an der Popakademie lernt, wie man Interviews gibt?

Sebastian Lühn, 25, und Max Koffler, 27, versuchen es auf die „altmodische“ Art. Und haben erste Erfolge. Sebastian Lühn studiert derzeit in Erlangen Theater- und Medienwissenschaft. Während des Zivildienstes schrieb er ein Buch über die wilde Zeit des Wechsels von der Schule ins wirkliche Leben. Er war sich sicher, später einmal seine Gedanken zu belächeln, und wollte sie gerade deshalb aufschreiben. Nur für sich. Als der Text fertig war, erzählte er beiläufig einer Bekannten davon, die wollte die Niederschrift lesen – und schickte sie anonym an einen Verlag. Mit Erfolg: Im Frühjahr 2001 erschien „Ra(s)tlos“ im Beust-Verlag.

Ein modernes kleines Märchen, Stoff für eine Telenovela, eine Geschichte, von der jeder träumt, der sich an seinen Schreibtisch setzt und erste Worte zu Papier bringt. Sebastian Lühn kann sagen, er hat es nicht gewollt, er hat sogar lange überlegt, ob er den Vertrag überhaupt unterschreiben soll. Aber dann wollte er doch. Wer denn nicht?

Sicherlich hat er eine gute Zeit erwischt. 1999 erschien „Crazy“ von Benjamin Lebert, und jeder Verlag wollte plötzlich ein solches neues Talent entdecken. Auch der Sachbuchverlag Beust. Andererseits lag es vielleicht gerade an dieser Schwemme von „Jugendbüchern“, dass Sebastian Lühns Veröffentlichung nicht die breite Lesermasse fand. Er wurde trotzdem so etwas wie eine lokale Berühmtheit. Er bekam Leserbriefe und Kommentare bei Amazon, hatte richtige Lesungen (nicht nur in der Aula seiner alten Schule), wurde von Leuten angefeindet, die sich im Buch schlecht dargestellt wähnten, und sogar zweimal auf der Straße von wildfremden Menschen erkannt und angesprochen.

Wer einmal veröffentlicht hat, möchte es wieder tun und traut sich mehr zu. Deshalb wollte Sebastian Lühn auf jeden Fall ein zweites Buch schreiben. Und diesmal alles noch besser machen. Also schrieb er unbeirrt weiter – er war ja jetzt Autor –, und im Sommer 2004 schickte er ein Manuskript mit sieben Kurzgeschichten an über zwanzig Verlage – denn den Beust-Verlag gab es inzwischen nicht mehr.

Nach einer Reihe von Absagen nahm der Münchner Lagrev-Verlag im März 2005 das Buch an; es erscheint heute. Sebastian Lühn sagt: „Ich wollte einfach noch mal ein Buch rausbringen, um mir zu beweisen, dass ich es besser kann als beim ersten. Bekannt zu werden ist dabei kein wirklicher Anspruch.“ Man fragt sich, was er denn meint mit „wirklich“. Wäre es nicht berechtigt, beim immerhin schon zweiten Buch mal an so etwas wie Ruhm zu denken? Klar, es sei ein gutes Gefühl, sein eigenes Buch im Regal stehen zu sehen, gibt er zu. Doch neben der Selbstbestätigung gehe es ihm darum, dass der Leser dieselben Emotionen erlebe, die sich bei ihm einstellen, wenn er die Geschichten schreibt. „Das wird vielleicht nur bei einigen klappen, aber dafür hat es sich ja dann schon gelohnt.“

Und das Geld? „Es ist so gut wie unmöglich, mit einem Buch Geld zu verdienen“, gibt sich Lühn ganz abgeklärt. Komisch, dass trotzdem so viele Autoren davon leben. „Es geht mir auch gar nicht darum, hauptberuflich Schriftsteller zu sein“, beteuert er. Sein Traum wäre es, einen guten Job zu haben und nebenher zu schreiben. Ein Teilzeitliterat also, der aus einem gewissen Egoismus heraus mit seinem Hobby an die Öffentlichkeit geht, seine Lage illusionslos, vielleicht zu illusionslos einschätzt und alle Hoffnung in das kleine Wort „wirklich“ packt.

Immerhin: Zwei Bücher veröffentlicht zu haben, davon träumt so mancher Schreibschüler vergebens. Er habe einfach Glück gehabt, wehrt Sebastian Lühn ab, und viel Eigeninitiative gezeigt. Klingt wie ein Kinderspiel. Trotz des frühen Erfolges hat er nie daran gedacht, auf eine Schreibschule zu gehen. Dabei wäre der Zeitpunkt optimal gewesen. Kurz nach Erscheinen des Buches fing Lühn an zu studieren. Mit seinem fertigen Buch hätte er sich ohne Problem bewerben können. Wer kann das schon?

Lühn hat nicht einmal daran gedacht. Er wollte lieber etwas anderes als Schreiben studieren, auch nicht Germanistik. Außerdem seien ihm die Auswahlverfahren suspekt. „Die wahren Schreibkurse sind Gespräche mit schreibenden Freunden“, sagt der Autor, und es klingt sehr romantisch. Mit diesem Satz wäre er vermutlich aus jedem Aufnahmegespräch geflogen. Vielleicht sind Schreibschulen nicht für Autoren wie ihn gemacht, sondern für solche, die es stärker drängt, für die anderen zu schreiben. Für die Schreiben mehr ist als ein Hobby. Für solche, die unbedingt davon leben wollen und sich für etwas ganz Besonderes halten. Und denen es nichts ausmacht, wenn dieses Besondere auf einer Akademie in Form getrimmt wird.

Ernster mit seiner Berufung nimmt es da Max Koffler, ehemaliger Student der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Er macht seit seiner Kindheit Musik, hat mit seiner Exband Kerosin vordere Plätze bei Wettbewerben belegt und schon Filmmusik für erfolgreiche Kinofilme wie „Herz im Kopf“ oder „Sommersturm“ geschrieben. Doch einen endgültigen Entschluss fasste Koffler erst in diesem Jahr. Da sagte er sich: Ich werde Profimusiker. Ich werde damit Geld verdienen, dass ich Musik mache und andere Leute sie sich anhören.

Doch nachdem dieser Beschluss gefasst war, bewarb er sich nicht an einer Popakademie, sondern investierte all sein Geld und das von ein paar Verwandten und Freunden in einen Studioaufenthalt in Hamburg. Acht selbst komponierte Songs nahm er auf, hoffnungsfroh gab er seinem Album den Titel „Start“. Zugänglich ist es bis jetzt nur seinem näheren Bekannten- und Freundeskreis – und jedem, der sich auf www.makskoffler.com verirrt.

In den Läden steht das Werk noch nicht, da Max Koffler zurzeit ein Label für sein professionell produziertes Debüt sucht. Auch hier will er einiges anders und ohne fremde Hilfe machen. So gesteht er, mehr aus Scham vor sich selbst als vor anderen „noch nicht mit aller Kraft“ gesucht zu haben. Er hegt den Wunsch, auf seinem eigenen Label „Plattengarten“ zu veröffentlichen. Doch dieser Wunsch ist zugleich auch ein Problem, denn am liebsten würde er all seine Zeit dem Musizieren widmen.

Das ist inzwischen das Wertvollste für ihn geworden: Musik zu machen. Max Koffler kann sich nicht vorstellen, einer geregelten Arbeit nachzugehen und nebenher in einer Band zu spielen, da ist er rigoros. „Bis vor zwei Monaten habe ich verschiedenste Jobs gemacht, die mich stets so aus dem Konzept brachten, dass ich mich entschied, nun das Risiko zu erhöhen und mich komplett auf die Musik zu konzentrieren. Ich hoffe, dass ich nicht an maßloser Selbstüberschätzung leide und mich nun richtig auf die Fresse packe.“Max Koffler nennt sich jetzt Maks Koffler und hat sich ein Büro gemietet. Wenn aus seinem Hobby ein Beruf werden soll, dann gehört für ihn dazu auch, dass er nicht daheim, im stillen Kämmerchen arbeitet. Er weiß nicht so genau, für wen er Musik macht. „Für die Musik und die Liebe.“ Aber er ist sich sicher, dass er etwas in sich hat, das rausmuss, „weil es sonst verschimmelt“. Genügen muss seine Arbeit nur seinen eigenen Ansprüchen, und die sind sehr hoch. „Die lassen sich nicht beschreiben. Irgendwann gefällt mir das Lied, das kann nach zwei Wochen sein oder nach einem halben Jahr.“

Wie Sebastian Lühn stellt auch er sich seine Ansprüche selbst und und lässt sie sich nicht von einer Akademie vorgeben. Er will niemanden, der ihm künstlerisch Beihilfe leistet. Er hat nie versucht, auf ausgetretenen Pfaden zum vermeintlich sichereren Erfolg zu gelangen. Ernsthafte Fördereinrichtungen wie die Popakademie in Baden-Württemberg (die immerhin der Band Die Happy zu gewissem Erfolg verholfen hat) oder der Popkurs in Berlin (wo sich einst Wir sind Helden kennen gelernt haben) lehnt er für sich kategorisch ab. Da schließt er sich dem Jungautor an und sagt, er sei solchen Schulen gegenüber skeptisch. „Popmusik will ich nicht studieren, sondern machen. Ich halte ein Übermaß an Technik und Theorie in der Popmusik für wenig hilfreich.“ Dabei nimmt er gern in Kauf, dass er als Autodidakt im Fehlermachen besser sei und „schlechter im Technikgewichse“. Maks Koffler will veröffentlichen, weil er gehört werden will, und zwar sofort. Ohne Umweg und ohne Filter.

Und das einzige Risiko, das er dabei eingeht ist, dass es nicht klappt. Aber dann kann er ja als normaler Mensch weiterleben.

Sebastian Lühn: „Alles ist leise“. Ab heuteim Lagrev-Verlag München, 165 Seiten, 10,50 Euro. – Maks Koffler: „Start“. Veröffentlichungstermin noch unbekanntPHILIPP LÖHLE, 27, ist Creative-Village-Absolvent. Und Selfmade-Dramatiker