Das schwarz-gelbe Loch von Düsseldorf

In den ersten 100 Tagen ist die Politikwende ausgeblieben. Wenig spricht dafür, dass sie noch kommt. Nach müdem Start und dem Debakel der CDU bei der Bundestagswahl gibt es keine Spielräume für neoliberales Durchregieren

Mit Tagesbrüchen hat die Politik in Nordrhein-Westfalen Erfahrung. Der Ausschuss für Grubensicherheit im NRW-Landtag musste sich seit Jahrzehnten immer wieder damit herumschlagen, wenn irgendwo im Kohlerevier an Rhein und Ruhr wegen des Einsturzes eines alten Bergwerkschachtes die Erde nachgab. Am 18. September erlebte die Düsseldorfer Landespolitik auch einen Tagesbruch. Unter der neuen schwarz-gelben Koalition am Rhein ist der politische Erdboden eingestürzt.

Das überraschende und dramatische Ergebnis der Bundestagswahl hat die CDU/FDP-Regierung in ein Loch gerissen. Das schwarz-gelbe Loch von Düsseldorf hat vieles geschluckt, was Christ- und Freidemokraten seit dem historischen Machtwechsel vom 22. Mai für gewiss und sicher hielten. Das verstörte und traurige Gesicht von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers am Wahlabend des 18. September symbolisiert den kurzzeitigen Schockzustand der Schwarz-Gelben. Das „Durchregieren“ (Angela Merkel) fällt aus. Der von den Bürgerlichen erhoffte konservativ-liberale Durchmarsch im Bund und im größten Bundesland ist gestoppt. Dem neoliberalen Politikwechsel erteilte die Wählerschaft eine Absage.

Statt dessen wird es in Berlin wohl eine Große Koalition geben. Schwarz-gelbe Lieblingsprojekte wie die Entmachtung der Gewerkschaften, die Deregulierung des Arbeitsmarkts, die „Kopfpauschale“, das „Kirchhof“-Steuermodell – all dies wird wohl nie Regierungspolitik in Deutschland werden. Und das ist auch gut so. Die CDU-NRW sollte darüber nicht traurig sein, sondern nachdenken, warum sie bei der Bundestagswahl in NRW nur 34,4 Prozent der Stimmen erreichte. Bei der Landtagswahl 2010 werden die Christdemokraten nur erfolgreich sein, falls Rüttgers und Co. Lehren aus dem Scheitern der Merkel-CDU ziehen.

Jürgen Rüttgers ist ein schlauer, einige sagen opportunistischer Politiker. Gnadenlos hat er im NRW-Wahlkampf die SPD-Regierungsbilanz schlecht geredet und neoliberale Propaganda gemacht: „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Gleichwohl scheint sich der Rheinländer jetzt in der Rolle des Sozialonkels der CDU zu gefallen. Sein Arbeitsminister Laumann hat deutliche Kritik am arbeitnehmerfernen Wahlkampf der Bundes-CDU geübt. Leise Zweifel am schwarz-gelben Durchmarsch hatte der NRW-Regierungschef schon unmittelbar nach seinem Wahlerfolg geäußert. „Wir haben mit unserem Wahlsieg das Tor aufgemacht für Neuwahlen in Deutschland. Mehr nicht“, sagte Rüttgers nach dem 22. Mai. Eine Überhöhung von Schwarz-Gelb als historisches Projekt wies er zurück. Vergleiche mit vergangenen Regierungswechseln in NRW kommentierte Rüttgers ungern. 1966 war die Machtübernahme der Sozialdemokraten in NRW Vorspiel für die sozialliberale Koalition unter Brandt. Und Rot-Grün regierte 1995 zunächst in Düsseldorf – 1998 im Bund. Rüttgers unpathetisch: „Ich ziehe keine historischen Vergleiche.“

Schafft es Rüttgers, diese Sachlichkeit auch seinem marktradikalen Koalitionspartner zu vermitteln, könnte NRW etwas Unspektakuläres, aber Nützliches bekommen: eine bescheidene, realistische Landesregierung. Nicht nach großen Würfen sollte die CDU streben, sondern nach kleinen praktischen Erfolgen: Etwas weniger Stundenausfall an den NRW-Schulen, etwas mehr Wettbewerb zwischen den Hochschulen, mehr Mut bei der Konsolidierung des Landeshaushalts, ein wenig Entlastung für das byzantinische Verkehrssystem im Ballungsraum Rhein-Ruhr. Nach 100 Tagen teils kalauernder Symbolpolitik (Reiterstaffel, Wenden auf Autobahnen) unter erschwerten Wahlkampfbedingungen sollte die Koalition jetzt anfangen zu regieren. MARTIN TEIGELER