Brachflächen zum Nulltarif

SPD-Stadtplanungsexperte Ulrich Pfeiffer wehrt sich gegen den Vorwurf, ein Neoliberaler zu sein, und plädiert für eine massive Anhebung der Bodensteuer sowie die Enteignung ungenutzter Freiflächen

INTERVIEW OLE SCHULZ

taz: Herr Pfeiffer, Sie nennen den Wohnungssektor den „größten Subventionsfresser“ Deutschlands und üben scharfe Kritik an der ökologisch motivierten Rationierung von Bauland, die Kosten und Preise in die Höhe schraube.

Ulrich Pfeiffer: Jeder Stadtplaner jammert darüber, dass er einen Bebauungsplan macht und sich dann mit den Privateigentümern herumschlagen muss, die den Boden als Vermögensaufbewahrungsmittel betrachten. Der Bodenmarkt funktioniert deshalb nicht, weil da clevere Eigentümer sitzen, die keinen sofortigen Bedarf nach Liquidität haben. Also warten sie ab, bis die Preise steigen, und machen Gewinn durch Warten, vor allem weil die Wertsteigerungen für private Eigentümer weitgehend steuerfrei sind. Das derzeitige Zusammenspiel von planerischer Rationierung und privatkapitalistischer Verwertung der Grundstücke ist eine Absurdität.

Ist mehr Markt ein Ausweg aus diesem Dilemma?

Ich weiß, dass ich als Neoliberaler gelte. Doch ich halte den Markt allein für kein geeignetes Instrument, um eine geordnete städtebauliche Entwicklung zuzulassen. Das große Problem ist, dass die Grundsteuer viel zu niedrig ist; sie müsste auf den Verkehrswerten von heute beruhen, in diesem Punkt bin ich ein radikaler Grüner. Gleichzeitig bin ich ein Gegner der reinen grünen Rationierer. Die dadurch verursachten hohen Preise fallen doch den Eigentümern als Vermögen in den Schoß. Mit meinem Gerechtigkeitsempfinden ist das nicht vereinbar. Man sollte die Bodenwerte massiv besteuern, damit die Verknappungsrenten wieder beim Staat landen und er damit öffentliche Leistungen finanzieren kann.

Sie sagen auch, dass der Staat angesichts der Bauland-Verknappung Anreize für Umbau oder Wiedernutzung von innerstädtischen Brach- und Recyclingflächen schaffen müsse.

Jeder rationale Mensch wird einsehen, dass wir untergenutzte Grundstücke schnell von Schrott und Altlasten befreien müssen – sei es eine geschlossene Fabrik oder ein stillgelegtes Bahngelände, um sie wieder ihrer Lage entsprechend zu nutzen. Die Bundesbahn wird ja mit der Grundsteuer nicht belastet, die hortet wie ein Weltmeister Flächen, die müssten eigentlich alle zu niedrigen Preisen auf den Markt geschoben werden.

Was halten Sie von Zwischennutzungen, zum Beispiel durch alternative Kulturprojekte?

Zwischennutzungen sind heute bei den extrem langen Wartezeiten bis zu einer dauerhaften Nachnutzung meist sinnvoll. Besser wäre es jedoch, wertvolle Grundstücke weit zügiger wieder zu bebauen. Eine Zwischennutzung wäre dann überflüssig.

Was ist die Alternative, Bauprojekte im Hochpreissektor?

Neubauten sind nun einmal teuer, und die Bebauung von Brachflächen ist besonders kostspielig. Insofern enden die meisten dieser Projekte im oberen Preisbereich, anders geht es aber nicht.

Laut einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik würden viele, gerade auch junge Familien, nicht ins Umland „flüchten“, wenn sie in der Innenstadt bezahlbaren Wohnraum fänden. Doch gerade hier steigen die Preise.

Solche Studien kenne ich seit den 70er-Jahren. Wann immer sie Menschen befragen, wollen sie lieber in der Innenstadt wohnen. Aber dort gibt es nicht ausreichend Platz, also muss ein Teil der Bewohner an den Rand ziehen. In Berliner Innenstadtbezirken wie Charlottenburg und Wilmersdorf wird die Zahl der Einwohner zudem in den nächsten 20 Jahren noch mal abnehmen, weil das Durchschnittsalter der Menschen steigt und die älteren Menschen größere Wohnflächen beanspruchen.

Alles in allem wird die Ware Wohnraum auch in Deutschland zu einem knappen Gut.

Das muss nicht zwangsläufig so sein. Ohne die Überregulierung in Deutschland könnte man viel preiswerter erschließen und bauen, und der Boden müsste auch nicht so teuer sein. Die deutsche Wohnungsknappheit ist politisch gemacht.

Aber für die Innenstädte stimmt die These doch?

Natürlich, wenn man eine attraktive Innenstadt hat, in der alle wohnen wollen, dann gibt es in unserer Gesellschaft einen Marktmechanismus, und Charlottenburg ist teurer als das Märkische Viertel, und deshalb leben dort auch wohlhabendere Menschen, d’accord. Das kann niemand außer Kraft setzen.

Anders als auch Sie prognostiziert haben, gibt es heute in Berlin ebenso gewaltigen Leerstand bei Büroflächen wie beim Wohnraum. Was sollte der Senat dagegen tun?

Gar nichts, der schwitzt sich von alleine aus. Bei endgültigen Leerständen, zum Beispiel am Rande von Marzahn oder im dritten Hinterhof eines Altbaus, wird eine Abrisshilfe sinnvoll. Nur würde ich erst einmal die Immobilienpreise sinken lassen, damit die Alteigentümer ihre Eigentumsrechte zu Niedrigstpreisen an die öffentliche Hand abtreten.

Was halten Sie davon, Förderungen wie das Selbsthilfeprogramm neu aufzulegen. Das wäre doch gerade für nichtkommerzielle Projekte eine Chance?

Bitte keine neuen Förderprogramme unter deutschen Bodenmarktbedingungen. Sobald Sie ein Förderprogramm auflegen, stabilisieren Sie die Immobilienpreise. Ich persönlich wäre im Falle ungenutzter Flächen und Objekte für eine Enteignung zum „current use value“, dem Wert in der gegenwärtigen Nutzung. Der tendiert bei diesen Flächen gegen null. Meinetwegen kann man die Areale dann auch an Selbsthilfegruppen verschenken, wenn die kommerzielle Nachfrage schwach bleibt. Allerdings darf man in Deutschland nur für sehr begrenzte Gemeinwohlzwecke enteignen. In Großbritannien oder Holland ist das anders. Das Eigentum heilig zu sprechen, halte ich für eine deutsche Neurose.