LeserInnenbriefe
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Das Wesen des Kapitalismus

betr.: „Eine Qual? Nein, ein Epos“, taz vom 4./5. 2. 17

Zwar stimme ich Ulrike Herrmann zu, dass es sich lohnt, sich wieder mit dem „Kapital“ von Karl Marx zu beschäftigen, war dann aber sehr enttäuscht, da die wesentlichen Erkenntnisse keine Erwähnung finden. Die revolutionären Erkenntnisse waren: 1. der Doppelcharakter der Ware als Gebrauchswert (also das physische Produkt) und als Tauschwert. 2. der Warencharakter der Arbeitskraft, das heißt, der Arbeiter kann auf dem Markt nichts als seine Arbeitskraft anbieten. 3. die technische Entwicklung (Maschinen, neue effektivere Produktionsmethoden) wird ermöglicht durch Investitionen beziehungsweise Konkurrenz des Kapitals untereinander, führt aber zum tendenziellen Fall der Profitrate, da nur die Arbeitskraft Mehrwert schaffen kann, die eingesetzten Maschinen an sich (geronnene Arbeit) können es nicht. Dieser Fall der Profitrate verlangt nach immer neuen Investitionen und Märkten und führt dazu, dass das Kapital nur weiterexistieren kann, wenn es expandiert. Es benötigt bei Strafe des Untergangs Wachstum.

Die traditionelle Volkswirtschaft begreift diesen Zusammenhang nicht und schwafelt von dem „magischen Viereck“.

Besteht die Möglichkeit des Wachstums nicht, muss Kapital vernichtet werden, was in der Vergangenheit durch Kriege erfolgte. Das sind zwar finstere Aussichten, entspricht aber dem Wesen des Kapitalismus. JUTTA NEUMANN, Hamburg

Zu leichte Kost

betr.: „Taumel und Euphorie“, taz vom 4./5. 2. 17

Nichts gegen leichte Kost am Wochenende in der taz. Und immer gerne eine interessante Reisereportage. Aber der Ferienaufsatz von Henning Kober über Nicaragua verdirbt das Wochenende. So kann man über einen Helgolandausflug berichten, aber nicht eine Reportage über Nicaragua schreiben. Was hat der Journalist in Nicaragua erfahren? Was haben ihm seine Gesprächspartner erzählt? „Ist Nicaragua auf dem Weg zurück in eine Diktatur“, fragt er, und man wartet gespannt auf seine Antwort oder von mir aus nur sein Gefühl dazu. Aber: nichts dazu. „Zum Schluss liegt der Mond waagerecht und schmal über der Stadt“, endet seine Reportage. Na dann: gute Nacht. Bernd Schleich, Köln

Klare Grenzziehung ist angesagt

betr.: „Campus Alternative geht in die Uni-Parlamente“, taz vom 3. 2. 17

Es ist immer sinnvoll, die Mittel der Auseinandersetzung mit den rechten Populist*innen abzuwägen und zu schauen, ob deren Wirkung nicht nach hinten losgeht, und dazu gehört Gewalt gegen Personen. Aber die Besetzung, das Nichtredenwollen mit den Populisten kann ich gut verstehen. Haben sie nicht genau das immer wieder selbst getan? Und vor allem, wer nicht ihrer Meinung ist, der und die wird als Volksverräter, Elite, Lügenpresse, linke SA und Ähnliches mehr beschimpft. Ich bin heilfroh um jeden jungen Menschen, der sich nicht diesen Verführer*innen hingibt und sich gegen deren permanente Spalterei von Menschengruppen und das Gehetze stellt.

Sie sind nicht die Lösung, sondern Symptom des Problems eines chaotischen Weltzustands mit einer ungerechten Verteilung von Vermögen, wie es das noch nie gegeben hat, und sie sind im Grunde genauso autoritär und egozentrisch wie die Leute vom IS. Ihr Nationalismus ist auch nicht einfach rechtspopulistisch, er beinhaltet faschistische Vorstellungen. Wenn in den Hörsälen dieses Landes der Unsinn und wissenschaftlich nicht haltbare Stuss von Trump, Höcke, Poggenburg etc. noch zu Ehren kommt, dann ist Protest und klare Grenzziehung angesagt!

Die Kreativität hierbei lässt noch zu wünschen übrig und es wird Zeit, dass sich die Student*innen tiefer mit der Entwicklung auseinandersetzen und endlich wieder eine kritische und politische Kultur einzieht, die sich auch mit dem Umgang mit der aktuellen Situation auseinandersetzt sowie klare echte Alternativen zu dem Nationalistengetümmel und den Vereinfachern aufzeichnet und mit allen progressiven und solidarisch eingestellten Menschen gemeinsam kämpft. TINO KRETSCHMANN, Berlin

Dem Hype ergeben

betr.: „Oohoooh! Motorbiene!“, taz vom 2. 2. 17

Frau Andersen zieht zum Ende ihrer Elternzeit das Fazit, ihr Sozialleben sei nie erfüllter gewesen als in der Zeit mit den Kindern zu Hause. Und sie singt dazu ein Loblied auf das Smartphone. Sie fragt sich, wie die Generationen vor ihr die Zeit ohne Smartphone überstehen konnten. Sie verbrachte „stundenlang“ die Zeit online, während ihr Kind „auf ihr einschlief“, kontaktierte Freunde „mühelos“ – auch während des Stillens – über WhatsApp. Dies sei „intensiver“ gewesen als bei persönlichen Treffen.

Mobilfunk, WLAN und seine Endgeräte sind bei der Mehrzahl der Nutzer brav gelebte Nutzung von industrieerdachtem Spielzeug und generieren richtig viel Kohle (und personenbezogene Daten!). Gleichzeitig werden zunehmend die sich verdichtenden Nachrichten seriöser Wissenschaft über Gesundheitsschäden verdrängt. Frankreichs Gesundheitsbehörde fordert eine Expositionsverringerung zum Schutz der Kinder. Das Umweltbundesamt riet, WLAN-Access-Points an Schulen zu vermeiden, der Umweltausschuss des Europarats forderte gar ein Verbot an Schulen. Die WHO stuft die von Mobiltelefonen erzeugten elektromagnetischen Felder als potenziell krebserregend ein.

Andersen scheint sich dem Hype ergeben zu haben und zieht ihre Kinder (und ein Neugeborenes!) in beide Problemfelder – die psychosozialen Auswirkungen und die Gesundheitsschäden – leichtsinnig hinein. Jürgen Groschupp, Großbettlingen