Zweifelhafte Heldin

„New York Times“-Reporterin Miller aus Beugehaft entlassen – weil sie nun doch ihre Quelle verrät

WASHINGTON taz ■ Als „Heroine“ der Pressefreiheit wird sie von ihrer Zeitung gefeiert, „Reporter ohne Grenzen“ kritisierte ihre Inhaftierung, Günter Grass und weitere 27 europäische Intellektuelle forderten in einem offenen Brief ihre Freilassung. Seit Donnerstagabend ist sie wieder frei: Judith Miller, Reporterin der New York Times, die am 6. Juli auf Antrag von Sonderermittler Patrick Fitzgerald in Beugehaft genommen wurde.

Miller hatte sich „unter Berufung auf eines der heiligsten Güter der Pressefreiheit“ (Times-Herausgeber Arthur Sulzberger) geweigert, den Namen eines Informanten aus der Bush-Administration preiszugeben, der ihr gegenüber die Identität und den Klarnamen der CIA-Agentin Valerie Plame enthüllt hatte – eine Straftat, die mit bis zu zehn Jahren Gefängnis geahndet werden kann. Plames Identität war im Juli 2003 in einem Artikel des konservativen Kolumnisten Robert Novak öffentlich enthüllt worden. Das war ganz offensichtlich ein Racheakt der Bush-Administration. Eine Woche vor Novaks Enthüllung hatte Plames Mann, der ehemalige US-Botschafter in Niger, Joe Wilson, in einem Artikel der Behauptung der Bush-Administration widersprochen, Irak habe im Niger Plutonium für die Entwicklung von Atomwaffen gekauft. Danach recherchierte Miller – neben weiteren Journalisten – in dem Fall. Sonderermittler Fitzpatrick versuchte seitdem aufzuklären, wer aus der Regierung die Identität Plames gegenüber Journalisten genannt hat.

Um nicht weitere drei Monate im Gefängnis verbringen zu müssen, hat Miller den Namen ihres Informanten nun genannt: Es war Lewis „Scooter“ Libby, Stabschef von Vizepräsident Dick Cheney. Ihren Sinneswandel erklärte Miller nach ihrer Freilassung damit, Libby habe sie letzte Woche „freiwillig und persönlich“ von ihrer Schweigepflicht entbunden. Äußerst merkwürdig ist nur, dass die Anwälte Libbys dies bereits im Juli 2004 getan hatten – in einem Schreiben an den Anwalt Millers. Das heißt, Miller hätte gegenüber Fitzpatrick längst aussagen können und nicht ins Gefängnis gehen müssen.

Zu diesem Umstand wollten sich Miller und ihre Anwälte auf Nachfragen ebenso wenig äußern wie zu hartnäckigen Gerüchten über eine Absprache mit Fitzpatrick: danach wird Libby geopfert, um Karl Rove zu schützen, den Stabschef von Präsident Bush. Rove hatte nachweislich mit dem Kolumnisten Novak über den Fall Wilson/Plame gesprochen. ANDREAS ZUMACH