Musik für junge Leute
: Heilende Mikrokräfte

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Vor einiger Zeit wurde in der gleichnamigen Wochenzeitung in Bezug auf die Band AnnenMayKantereit (16./17. 2., Alsterdorfer Sporthalle) gefragt: „Haben die jungen Leute das verdient?“ Die erwartbare Antwort: Irgendwie haben sie alle es verdient: die Jungen wie die Alten. Mit anderen Worten: Die Gesellschaft insgesamt hat das verdient. Weil es Musik ist, die in die Zeit passt, wie das kritische Feuilleton in solchen Fällen zu sagen pflegt. Alles bricht zusammen, aber man selbst nimmt nur die kleinen Alltagssorgen in den Blick und macht etwas, was man nicht mal mit bestem Willen Mikropolitik nennen kann.

Auch wenn man diese Schelte sofort unterschreiben will: Frage und Antwort werden dadurch leider nicht besser. Ein Blick in die Charts genügt. Auf Platz 1: Antilopen Gang (10. 3., Große Freiheit). Eine oberschülerhafte Rap-Gruppe, der alles Mögliche, aber gerade nicht unterstellt werden kann, sie würden sich nur mit den Brötchen aus der Vollkornbäckerei um die Ecke und dem Trip an das nächste Meer beschäftigen.

Bis vor Kurzem noch auf Platz 1: der Rapper Kollegah, dem man attestieren kann, dass er einen ganz ungezwungenen Umgang mit Sexismus und antisemitischen Positionen pflegt. Das letzte Album der „patriotischen“ Rockertruppe Frei.Wild hat es vergangenes Jahr indes nur auf Platz 2 geschafft, womit es wohl schon als Minderheitenphänomen durchgeht. Wer jetzt warum was verdient hat? Unklar.

Solange das so ist, sollte der Blick besser auf die heilenden Mikrokräfte der Musik gerichtet werden, etwa den Song „Ist das der Weg zur Hafenstraße?“ von Boris and the Tie-Break aus dem Jahr 1989. Wirkte auf den ersten Blick harmlos, entpuppte sich aber als Hilferuf an Boris Becker, der sich mit Freikarten für das Turnier am Rothenbaum und der Rettung der besetzten Häuser revanchierte. Eingeweihte wissen, was jetzt kommt: zwischen ganzer und kleiner Bäckerei schließt sich der Kreis mit der Gruppe Bakery (5. 2., Golem), einem leicht bekifften Indietronic-Trio aus Berlin. Sicher gut für junge Leute, und noch nicht so bekannt.