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Roboterhund und Google Krishna

Transmediale Tief in der Virtual Reality versunken: Das Berliner Produzentenduo Amnesia Scanner tritt heute im HKW auf

Neunzig Prozent der Kunstproduktion sind bedeutungslos, schlecht, generisch und uninspiriert.“ Martti Kalliala lehnt sich anscheinend gern mächtig aus dem Fenster. Im Interview mit dem Dazed-Magazin führt Kalliala, heute zusammen mit Ville Haimala Teil des Produzentenduos Amnesia Scanner, bereits 2011 aus: „Warum sollten wir nicht alles daransetzen, zu den restlichen zehn Prozent zu gehören? Ganz im Ernst, das leuchtet mir nicht ein.“

Sie lassen es zischen und knallen

Gesegnet ist, wer solche Statements mit neuer Kunst untermauern kann. Die Musik nämlich, die der Berliner Finnenzweier Amnesia Scanner seit Anfang 2014 veröffentlicht, entzieht sich Genreschubladen. Es handelt sich um hoch verdichtete, mangels Alternative manchmal als „hyperreal“ überschriebene Dance Music im Spiegel des Internetzeitalters. Nonstop lassen Amnesia Scanner es zischen, knallen und üben sich in biestigen Gebärden. Tanzbar geben sie sich nur über kurze Distanz.

Trotz aller Elektronik klingt die „AS“-EP, die im vergangenen März auf dem renommierten Indie-Label Young Turks erschien, allerdings durchaus organisch – sofern man sich die Geräuschkulisse von eskalierenden Gottesdiensten im Hyperraum vorzustellen vermag jedenfalls. Abstrakte Tracktitel wie „AS Exopsalm“ tragen noch zur Verwirrung bei. Überwältigend expressiv bis nervenzerreißend ist der Sound aber in jedem Moment.

Erstmals traten Amnesia Scanner 2013 als Macher des Mykki-Blanco-Hits „Booty Bamboo“ in Erscheinung. In ihrer eigenen Musik wiederum knüpfen sie stark an „Blade Runner“-Dystopie und Hackerkultur an. Die beiden Mittdreißiger agieren im Ereignisreich zwischen dem Cyberpunkrave des Londoner Produzenten Brood Ma, dem Post-Prap des Björk-Kollaborateurs Arca und Bezügen zum Digitalen wie bei Holly Herndon, die die Ichfragmentierung in der Virtual Reality durch clevere Soundmodulationen vergegenwärtigt.

Schnellstmögliche Reizbefriedigung

Dekonstruktion überlieferter Clubidiome lautet die Devise. Om-Symbole und DNA-Rhetorik, ein „Google Krishna“ und „Augmented reality contact lenses“ tauchen als lyrisch-assoziative Kulturartefakte auf. So ­zeigen Kalliala und Haimala zum einen den Sinnverlust auf, der mit dem notorischen ­Rückgriff auf derartige Phänomene einhergeht, zum anderen den Internetfetisch Nummer 1: schnellstmögliche Reizbefriedigung.

Mit Technokünstlerin/Kritikerliebling Herndon kollaborierte das Duo übrigens schon auf deren 2015er Album „Platform“. Wie Herndon begleiten auch die Finnen ihre Musik mit kryptischen Videoclips. In „AS Crust“ sieht man etwa eine Wärmebildkameraaufnahme, in der ein menschliches Bein einen Roboterhund tritt. In der Infrarot-Loopschleife wird eine Wärme­wolke sichtbar, die beim Aufprall des Fußes aus dem Hund entweicht.

Im Geiste populärer Fernsehserien wie „Westworld“ und „Black Mirror“ thematisieren Amnesia Scanner damit mutmaßlich die Grundsatzfrage, wie man im Zeitalter künstlicher Intelligenz zwischen maschinell und biologisch unterschieden kann.

Bei „AS Chingy“ werden harte Kickdrums, Trancefanfaren und gurgelnde Zerrstimmen als albtraumartiger Dancefloor inszeniert, der allem Anschein nach gerade von fremden Mächten übernommen wird.

Beim CTM Festival und der Transmediale sind die früheren Helsinkier DJs keine Neulinge. Sowohl als Amnesia Scanner als auch mit der Vorgängerformation Renaissance Man, die 2011 ein Tech-House-Album ­veröffentlichten, sind sie regelmäßige Gäste. Bei der diesjährigen Ausgabe präsentieren sie gemeinsam mit Bill Kouligas die audiovisuelle Installation „Lexachast“. Die Performance thematisiert unsere Verletzlichkeit und Begrenztheit angesichts eines Overkills an Material, mit dem wir im digitalen Zeitalter überschwemmt werden. Matthias Manthe

Amnesia Scanner und Bill Kouligas: „Lexachast“. Haus der Kulturen der Welt, heute, 21 Uhr

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