Schünemanns Gutscheine auf der Kippe

PROZESS In Hildesheim wird über Nachzahlung von Sozialleistungen an eine Asylbewerberin entschieden

„Der Betroffene müsse in die Lage versetzt werden, Schulden zu tilgen“

SOZIALGERICHT HILDESHEIM

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) steht wieder ein Rüffel ins Haus. Am 12. Dezember verhandelt das Sozialgericht Hildesheim den Fall einer 37-jährigen Asylbewerberin aus Kuba, der zu niedrige Sozialleistungen ausgezahlt wurden. Die Stadt Göttingen will der Mutter zweier Töchter die ihr zustehenden 500 Euro nicht bar, sondern in Wertgutscheinen erstatten. Das Sozialgericht deutet in seiner Begründung zur Gewährung der Prozesskostenhilfe bereits an, dass Niedersachsen mit den Gutscheinen gegen das Grundgesetz verstoße.

Hintergrund des Streits ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Juli, nach der die Sozialleistungen für Asylbewerber zu niedrig sind. In einigen Fällen wurden rückwirkende Nachzahlungen ab dem 1. Januar 2011 verfügt. Die meisten Bundesländer erbringen diese Nachzahlungen in Geldleistungen. Niedersachsen gehört nicht dazu und will stattdessen lieber Wertgutscheine ausgeben. Innenminister Uwe Schünemann fand zuletzt im April deutliche Worte für dieses System, als die Stadt Oldenburg die Gutscheine durch Bargeld ersetzen wollte. Das sogenannte Sachleistungsprinzip solle verhindern, dass „Anreiz zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bzw. zum Verbleib geschaffen“ werde. Die Stadt Göttingen verfährt getreu nach dieser Devise, während der Landkreis Göttingen eine Ausnahmegenehmigung erwirkte und die Nachzahlungen in bar vornimmt.

In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung galt schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, „dass die Nachgewährung von Grundleistungen allein in Form von Geldleistungen möglich sei“, schreibt das Sozialgericht. Denn der Betroffene sei gezwungen gewesen, seinen Lebensunterhalt anderweitig sicherzustellen. Dies führte vielleicht dazu, dass der Betroffene sich Geld geliehen habe.

Bei der Nachzahlung ihm zustehender Leistungen müsse der Betroffene, so das Gericht, „in die Lage versetzt werden, Schulden zu tilgen, was regelmäßig nicht durch Wertgutscheine, sondern nur durch Geldleistungen möglich sei“. Hinzu komme, dass der Landkreis Göttingen mit Billigung des Innenministeriums anders verfahre als die Stadt Göttingen, damit werde Niedersachsen dem Anspruch auf Gleichbehandlung der Asylbewerber nicht gerecht. Die Kammer habe daher „erhebliche Bedenken“, ob dies „tragfähige Gründe rechtfertigen“ könnten.

Das Wertgutscheinsystem sei für sich schon eine erhebliche Diskriminierung, sagt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der die kubanische Familie vor dem Sozialgericht Hildesheim vertritt. Dass nun Menschen mit gleichen rechtlichen Voraussetzungen in der Stadt Göttingen anders behandelt werden als im Landkreis, sei laut Adam „ mit dem Gleichheitsgrundsatz Artikel 3 des Grundgesetzes nicht vereinbar“.  KAI VON APPEN

Demo „Bargeld statt Gutscheine“: 1. Dezember, 12 Uhr, Hannover, Schillerstraße Ecke Andreasstraße