PRIVATE TOPOLOGIE
: Sandalenlyrik

Hinter einem Gitter lauert ein neuer Aston Mini wie ein Raubtier

Der Mitbewohner und seine Künstlerfreundin. Sie fragen mich, ob ich mitkomme. Zu Durs Grünbein und Thomas Demand. Die sprechen an der HU.

Es ist Donnerstagabend, wir kommen zu spät, jedenfalls zu spät für einen Sitzplatz, der Hörsaal ist mehr als gut gefüllt. Das Auditorium sitzt auf einer Art Tribüne, am Rand kann man an den hohen Fensterfronten stehen oder auch sitzen. Ich lehne mich gegen die Tribüne und schaue und höre zu. Zwei Menschen vor mir sitzt meine unglückliche Studentenliebe B. in jung. Eine Studentin mit klugem Blick, dunkle Augen hinter dunkelroter Brille, helle Haut, dunkelroter Schimmer in den braunen, fast langen Haaren. Sie sitzt neben einer Freundin und nestelt an ihrer Strumpfhose, zupft sich von Flusen frei. Vorn redet hauptsächlich Grünbein, es soll um die Stadt gehen, „Transit Berlin“, aber außer dem Wort Topologie fällt dem ergrauten, aber jung wirkenden Dichter zu Berlin nicht viel ein. Private Topologie, sonst nur Historizität, sagt er. Ist alles zu privat hier, kann er nicht wahrnehmen, und für die schwiemelige Sandalenlyrik, die er so schreibt, ist Berlin nicht alt, nicht fremd genug. Demand, der Kunstfotograf, hat nicht viel beizutragen. Das meiste hätte ich mir selbst erzählen können, das wäre bei aller Bescheidenheit nicht weniger unterhaltsam gewesen. Die beiden Studentinnen, denen das alles wie Fremdsprache vorgekommen sein muss, stehen irgendwann auf und gehen, und dann gehe auch ich.

Schon auf dem Weg zurück durch die nahe liegenden Neubauviertel, Hausvogteiplatz, Spittelmarkt, denke ich, dass Grünbein wirklich blind sein muss. Es gibt so viel zu sehen! Die Sauberkeit der neuen Geschäftsviertel. Die Hotels, die Wohnanlagen, die sich kaum voneinander unterscheiden. Hinter einem Garagengitter lauert ein neuer Aston Mini wie ein Raubtier. Man muss nur die Augen öffnen in dieser Stadt. RENÉ HAMANN