LESERINNENBRIEFE
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die tageszeitung | Rudi-Dutschke-Str. 23 | 10969 Berlin | briefe@taz.de | www.taz.de/zeitungDie Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.

Kein Wort des Bedauerns

betr.: „Humboldt-Universität wirft Holm raus“, taz vom 19. 1. 17

Ihre Entlassung tut mir leid, Herr Holm. Für Berlin und für Sie. Ich gehöre zu denjenigen, die die Petition unterschrieben, man möge Sie im Amt belassen. Denn Ihre Pläne für eine neue Mieterpolitik gehen in die Richtung, die ich mir für Berlin wünsche.

Die fünf Monate dauernde Stasi-Zugehörigkeit eines 19-jährigen Abiturienten erscheint mir vernachlässigbar. Sicherlich, es gab Kinder von Stasi-Kadern, die sich dem Druck ihrer Familie nicht beugten, aber das, so finde ich, kann von einem Heranwachsenden nicht erwartet werden.

Was jedoch erwartet werden kann, ist der ehrliche Umgang mit der eigenen Biografie. Dass Sie 2005 gelogen haben aus Angst, sonst den Job an der HU nicht zu bekommen, ist für mich nachvollziehbar. Sie wurden ein anerkannter Hochschullehrer, in Bedrängnis brachte Sie erst Ihre Ernennung zum Staatssekretär. So hielten Sie sehr lange daran fest, Ihre Ausbildung habe beim Wachregiment stattgefunden und nicht in der Abteilung XX. Sie gaben an, nicht mitgekriegt zu haben, dass Sie Ihre Grundausbildung bei der Stasi machten, obwohl Sie Bezüge erhielten, die viermal so hoch waren wie die eines „normalen“ Soldaten. Sie behaupteten – der Sie bereits mit 14 Jahren bei der Stasi unterschrieben –, bis zum Abitur keinen weiteren Kontakt zur Stasi gehabt zu haben. Alles nur Erinnerungslücken? Bei dieser Sachlage kann auch einem wohlmeinenden Außenstehenden der Kragen platzen. Zumal von Ihnen kein Wort des Bedauerns zu vernehmen ist.

Ich bin sicher, dass ein Mann mit Ihren Fähigkeiten schnell wieder reizvolle Aufgaben bekommt. Das unterscheidet Sie – zum Glück – von jenen Männern und Frauen, die zu DDR-Zeiten von heute auf morgen mit leeren Händen dastanden. Einfach so, weil die Staatsmacht es wollte, Abteilung XX, in der Sie als Abiturient Ihre Ausbildung machten: Familie weg, Knast, Armut, zerstörtes Leben. Ich wünsche Ihnen keinesfalls das Schicksal vieler DDR-Gegner. Aber es ist vielleicht angezeigt, auch darüber noch mal nachzudenken – für uns alle. Barbara Ahrens, Berlin

Freude über Proteste

betr.: „Streiten ist nicht niederbrüllen“, taz vom 21./22. 1. 17

Im Tagesspiegel und in der taz sind Artikel veröffentlicht worden, die gegen die Stadtinitiativen und Studierenden, die für den Verbleib von Andrej Holm an der Universität protestieren, schwere Vorwürfe erheben: Sie würden sich wie Rechte, wie Pegida aufführen. Damit verkennen die Autoren, was der Kern dieser Proteste ist, nämlich die Forderung nach Demokratie und Mitbestimmung. So fordern sowohl stadtpolitische Initiativen als auch die Studierenden ein, dass sie ein Mitspracherecht bei Entscheidungen haben, die vor allem sie betreffen. Demokratie macht aus, dass solche Proteste möglich sind. Der Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft ist nicht das konsensuale Miteinander, sondern der Streit, der Konflikt. Um diese Konflikte führen zu können, müssen sich die Gruppen, die sonst nicht gehört werden, erst Aufmerksamkeit verschaffen. Diese Aufmerksamkeit bekommen sie aber nicht, wenn sie nur in den Räumen sprechen, die ihnen zugestanden werden von den Leuten, die ebendiese Mitsprache nicht wollen.

Es gehört dabei immer auch dazu, andere Interpretationen der Gesellschaft und politischer Ereignisse in die Öffentlichkeit zu tragen. Dabei geht es in diesem Fall nicht darum zu behaupten, ein geheimes Netzwerk der Immobilienbranche oder der Regierende Bürgermeister würden alles planen und steuern. Vielmehr geht es darum, darauf hinzuweisen, dass diejenigen, die gerade Diskurse dominieren, daran ein Interesse haben.

Die enge Verflechtung der SPD-Politik mit der Bau- und Immobilienbranche ist in verschiedenen Veröffentlichungen belegt worden. Auch für Fachjournalisten wie Ralf Schönball vom Tagesspiegel gibt es daran wenig Zweifel. Es ist auch legitim zu fragen, welches Interesse eine Universitätspräsidentin daran haben kann, sich auf eine arbeitsrechtlich höchst umstrittene Entlassung eines Wissenschaftlers einzulassen, der der Universität viel Renommee bringt. Und nein, der Vorwurf ist nicht, dass beispielsweise Tagesspiegel-Journalist Robert Ide bezahlt wurde, sondern seine ganz eigenen Interessen verfolgt und in diesem Fall de facto auch die Interessen der Immobilienbranche bedient hat.

Wer ein Freund der Demokratie ist, freut sich über die jetzigen Proteste. In dem besetzten Erdgeschoss am Institut für Sozialwissenschaften lernen Studierende gerade, was Demokratie heißt, und üben Formen der Demokratie ein, die über die jetzige hinausweisen. Zusammen mit Stadtinitiativen, Wissenschaftler*innen und DDR-Oppositionellen diskutieren und streiten sie untereinander und füreinander. Stephan Junker,Berlin